Am Donnerstag verabschiede ich mich nach einem gemeinsamen Frühstück abermals von Olga und den Jungs und verlasse das mir schon so vertraute Taiga Pitch Camp. Ich spüre förmlich die neue Energie in mir, Neues zu erkunden nach so langer Pause!
Schnell spule ich die bekannten 250km nach Ust-Barguzin entlang des Baikalufers ab und fahre in das Barguzintal. Hier wird die Besiedlung sehr, sehr dünn und der Asphalt weicht einer gut gepflegten Piste. Bis Barguzin, wo doch um die 2.000 Menschen leben, herrscht noch etwas Verkehr, was mir ordentlich Staubfressen beschert. Danach bin ich absolut allein unterwegs, und es wird so richtig idyllisch: Zur Linken türmen sich bis zu 2.800m hohe Berge, die in ihrer Form sehr an die Schweizer Alpen erinnern.
Zur Rechten mäandert der Barguzin in hunderten von Verästelungen durch die 30km breite Steppenebene – Amazonas like! Und aus den Bergen kommen immer wieder kleine Bäche in das Flusstal.
Ich fahre wie in einer Märklin H0-Landschaft und fühle mich sauwohl!
Für die Schlafplatzsuche zieht‘ Smith an den Fluss, wo ein freundlicher, deutlich vom Alk gezeichneter, Mann mit seiner Frau nebst seiner Ural mit Beiwagen angelt. Er ahnt, worum es mir geht und lädt mit großer Geste zum Campieren ein. Kaum stehe ich dort, erlebe ich eine wahre Attacke von riesigen Mücken und – noch schlimmer – Bremsen. Hier zu lagern scheint doch keine so gute Idee zu sein, also orientiere ich mich zu meiner Linken und fahre eine Weide hoch zum Waldrand, wo ich einen nicht einsehbaren Schlafplatz mit Guter Talsicht finde.
Kaum habe ich das Zelt aufgebaut, werde ich aus heiterem Himmel durch ein Gewitter überrascht, das sich in den Bergen aufgebaut hat und kurz aber heftig auf’s Zelt niedergeht.
Am Tag darauf fahre ich bis ans Ende des Tals nach Umkhei. Hier ist die Welt zu Ende. Der Weg in dieses kleine Thermalkurörtchen verläuft auf knapp 80m durch einen reißenden Fluss mit Wassertiefe von fast einem Meter. Ich entscheide für die sichere Variante und laufe zu Fuß über eine schmale Seilbrücke.
Im Örtchen nehme ich ein entspannendes Bad im 38 Grad warmen See, der kaum schwefelig riecht und darüber hinaus kristallklares Wasser hat.
Heute traue ich mich doch am Fluss zu übernachten. Es gibt zwar Mücken, doch diese lassen sich vom „Nobite“ beeindrucken und die Abendidylle ist den einen oder anderen Stich mehr als wert!
Am Samstag besuche ich auf dem Rückweg etwas abseits das Örtchen Alla, das ich auf dem Hinweg vor lauter Spielerei mit der GoPro Kamera verpasst habe. Die Kamera haben mir die lieben Kollegen zum Abschied von Bombardier geschenkt, und diese tolle Fahrt durch das Tal war die Premiere für mich als Videofilmer!
In Alla kaufe ich Wasser und eine Bürste für die Kettenpflege, die ab jetzt ihren festen Platz am Werkzeugfach hat.
Im Laden erfrage ich den Weg zu den heißen Quellen von Alla und werde auf einen schwer zu beschreibenden Weg geschickt, der nach 8km schließlich inmitten eines Waldcamps endet, das hervorragend als Kulisse für die Verfilmung von Hänsel und Gretel herhalten könnte. Dort finde ich ein einzelnes Zelt neben einem SUV und daraus kommt ein fitter, freundlicher Mann, stellt sich als Sergei vor und erklärt mir in bestem Englisch, dass er hier mit seiner Frau Galina Urlaub mache, aus Wladiwostok komme und dort als Ingenieur auf einem Kühlschiff arbeite. 4 Monate fährt er zur See, danach hat er 4 Monate frei. Er bereise die ganze Welt, doch nach Hamburg habe er es noch nicht geschafft, dafür aber nach Rotterdam.
Wir unterhalten uns eine ganze Weile über Gott und die Welt, dann zeigen Sie mir die Quellen, zu denen 200 Stufen ins Flusstal hinab führen. Eine wahre Idylle, doch zum Baden laden diese nicht ein, da sie mit Holzhütten überbaut sind, die schon arg vergammelt sind.
Wir verabschieden uns, und es gibt mal ein Photo von mir vor Gebirgsfluss:
Zurück auf der Hauptpiste werde ich kurze Zeit später Zeuge der russischen Improvisationskunst. Genau an der Stelle, wo ich gestern eine weggeschwemmte Brücke über einen Bypass durch den Fluss umfahren habe (war eine nette GoPro-Einlage), wird heute eine rustikale Ersatzlösung für die Brücke geschaffen. Ein Radlader wirft dafür zwei riesige Stahlröhren in den Fluss und überschüttet diese kurzerhand mit Erde und Sand, die er vom Pistenrand nimmt. Dabei werden zahlreiche Bäume ausgerissen und einfach mit in die Konstruktion verfüllt. Zwischen dem ersten und dem zweiten Photo liegen kaum 30 Minuten, dann ist das ganze Spektakel vorbei und eine neue Straße über den Fluss gebaut. Bei uns würde das Monate dauern!Hinter Kurumkan nehme ich für den Rückweg eine andere Piste. Ich überquere das breite Tal zu der Bergkette auf der östlichen Seite. Hier leben riesige Herden von Wildpferden, die mit ihren Fohlen in den Wasserlöchern der Steppe baden. Eine schon fast kitschige Idylle!
Die Pisten, bzw. zum Teil auch Überreste sowjetischer Straßen sind in einem miserablen Zustand. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass hier kaum SUVs sondern nur normale, japanische PKW unterwegs sind, die allerdings meistens von so unwichtigen Anbauten wie Stoßfängern, Spiegeln und manchmal auch Fenstern befreit sind.
An diesem Abend erreiche ich wieder den Baikalsee und finde einen schönen Lagerplatz am Seeufer, wo ich am Lagerfeuer den zuvor am Straßenrand gekauften Fisch – geräucherter Omul, gibts nur im Baikalsee – genieße.
Erst später werde ich Gewähr, dass ich hier nicht alleine bin. 5 Jungs im Alter von 14-18 sind aus Ust-Barguzin mit dem Fahrrad hier für eine Outdoor-Nacht. Sergei, 2 mal Dana, Djana und Andrei bringen Berge von Köstlichkeiten, die ihnen die Mütter eingepackt haben und geben nicht eher Ruhe, als dass alles probiert und gepriesen wurde. Eine sehr nette Überraschung und alles andere als aufdringlich! Am Sonntag steuere ich hoffentlich zum letzten Maltas Taiga Pitch Camp bei Ulan-Ude an. Diesmal nehme ich einen direkteren Weg per Fähre über den Selenga. Fähren fahren hier wann sie wollen und nehmen nicht unbedingt den direkten Weg zum gegenüberliegenden Ufer. Diese Fähre, die wieder von einem Boot gezogen wird, fährt fast eine Stunde den Fluss hinauf und wirft uns 3km weiter auf der anderen Seite hinaus.
Im Camp angekommen freue ich mich, die ersten deutschen Mopedtouristen zu treffen. Suse (36) und Axel (44) sind aus Sindelfingen auf zwei DR 650 für ein Jahr unterwegs. Auch sie wollen am nächsten Tag zur Mongolischen Grenze.
Wir verbringen einen schönen Abend am Lagerfeuer, und ich trinke am 50. Tag der Reise mein erstes Bier! Heute geht’s also zur Grenze. und ich freue mich riesig auf die Mongolei 🇲🇳! 7 Wochen Russland waren dann auch genug. Es gab tolle Landschaften, sehr freundliche aber auch sehr zurückhaltende Menschen und eine Infrastruktur mit Tankstellen, Läden und Gastronomie, die das Reisen einfach machen. Aber es bleiben auch die endlosen „Durststrecken“ in Erinnerung, die auf dem Moped nicht immer ein Vergnügen sind! In der Mongolei werde ich morgen erst Ulan-Bator ansteuern und von dort eine Rundreise in die Gobi unternehmen. Dann komme ich zurück nach Ulan-Bator, werde dem Motorrad einen Ölwechsel gönnen und am 29. Juni Ariane vom Flughafen abholen. Auf diese 2 Wochen im NW der Mongolei freue ich mich ganz besonders!
Hallo Wolfram,deine Beschreibungen sind wieder mal sehr sehr interessant! Tolle Bilder !!! Danke dir dafür !!!liebe Grüße von Tanja
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Hallo Wolfram, wir hatten zuerst auf Ulis Geburtstag von deiner Mammut-Tour gehört. Uli gab uns dann auch den Tip mit deinem Blog. Da wir demnächst an den Baikalsee in Urlaub fahren, sind insbesondere die Kapitel von Irkutsk, Ulan Ude, Heilige Nase und Bargusin Tal eine wahre Fundgrube an Kundschafter-Wissen! Und die wunderschönen Fotos! Schade dass du es wegen der doofen Panne nicht mehr an die Ostküste schaffst. Viel Glück, bleib gesund und halte durch. Wir lesen gerne weiter über die Stan-Länder, die ich von afghanischer Seite aus kenne.
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