64 Asunción – Cartagena: Feels like riding home!

Es ist nicht der gleiche Abschiedskummer wie sonst, als ich Ariane am Mittwochmorgen am Flughafen von Asunción zurück lasse und mich auf die Schlussetappe meiner langen Reise mache. Für Ariane folgen noch 3 nette Tage mit der Mamá und der Familie in Bogota, und ich freue mich auf der „Heimreise“ nochmal ein paar Tage einen freien Kopf für die Vearbeitung der vielen Erlebnisse der vergangenen 7 Monate zu haben. Die einsamen Landstraßen mit ihren endlosen Längen eignen sich ganz hervorragend dafür.

Meine Erwartung war, dass die Grenze nach Argentinien gleich hinter dem Flughafen läge, doch weit gefehlt. Es sind noch fast 50 Kilometer über teils sehr vernachlässigte Straßen, bis ich ans Ende des Grenzstaus komme. Von der Grenzstation ist hier allerdings noch lange nichts zu sehen! Brav hinten anstellen? Nö! Niemand stört sich an dem vorbeiziehenden Moped. Nicht mal die vielen Uniformierten, die den Stau in Warteblöcke einteilen, verziehen eine Miene – nein, sie winken mich alle durch. So passiere ich ca. 200 wartende Autos, die ohne sichtbare Bewegung wohl noch Stunden auf den Grenzgang warten müssen, und darf über die enge „Puente Internacional“ direkt zum Abfertigungsgebäude vorfahren. Dort werde ich blitzschnell abgestempelt und freue mich schon beim Losfahren über meinen“Coup“, als eine argentinische Uniform, die eindeutig der Aduana zuzuordnen ist, mich anhält. Klar, ich habe ja noch gar keine formelle Einfuhr für das Moped erledigt, wie mir in diesem Moment siedendheiß einfällt. Und sogleich kommt die meist gefürchtete Frage nach der „Seguro“!

Jetzt habe ich mich mehr als ein halbes Jahr erfolgreich ohne Versicherung durchgemogelt, und auf den letzten Metern erwischt es mich doch noch? Nein, auch diesmal kann ich den Beamten davon überzeugen, dass mein lappiges Papierkärtchen der ERGO den Nachweis einer weltweit gültigen Versicherung darstelle. Zehn Minuten später halte ich Einfuhrpapier und Lenker wieder in den Händen. Jetzt folgen viele, viele laaaaange Kilometer auf schnurgerader Fahrbahn durch die Ebene des Rio Paraguay. Das einzig schöne hier sind die Palmenhaine, die den Weg säumen. Mir gibt es Freiraum für schöne Gedanken an das erlebte und an Zuhause!

Schlappe 800 Kilometer lege ich heute auf diese Weise zurück – immer auf der ruta nacional 11, ohne jegliche Abzweigung! Dabei wird der Tag so heiß, dass an anderes als Fahren kaum zu denken ist. Fahren und Tanken, sonst nur Sinieren, Musik hören und den Geräuschen des Mopeds lauschen, die nach wie vor keinen Anlass zu Sorge geben. Nach Sonnenuntergang animiert mich in San Juato am linken Straßenrand ein Schild mit der Aufschrift „Hotel – WiFi – Pool“ zum Anhalten. Für ganze 12 Euro bekomme ich ein nettes Zimmer, eine Garage, einen schönen Pool und ein ganz passables Frühstück am Dienstagmorgen – das geht! Besorgt um die letzten Meter, inspiziere ich meine zwei Sorgenkinder, den Hinterreifen und die Kette. Ersterer sieht unverändert profillos, aber immernoch intakt aus, aber letztere verlangt nach einer vollständigen Schraubenumdrehung für das Nachspannen, was mehr ist als jemals zuvor!

Das Kinoprogramm auf der nächsten Etappe sieht am Donnerstag nicht besser aus als das gestrige. Jetzt wird sogar die Straße noch vierspurig und verlangt nach Wachmachern, die ich ja bekanntlich nicht zu nehmen pflege. Erst kurz vor dem Etappenziel Córdoba tauchen am Horizont die Umrisse einer Cordilliere – den Alta Cumbres – auf, die der hohen Andenkette entlang der Grenze zwischen Argentinien und Chile vorgelagert ist. Hitze und die Einzäunung des gesamten Landes entlang der Straßen zwingen mich auch heute wieder in eine feste Behausung – es ist einfach nicht das Land zum Wildcampen! Dafür finde ich unweit des Zentrums von Córdoba ein wirklich nettes Hostel, dass von außen wenig her macht, aber im inneren eine Oase inmitten der Großstadt bietet. Hier werde ich von Gonzales sehr freundlich begrüßt und – wie selbstverständlich – sofort in ein BBQ-Gelage eingebunden, das er mit Freunden im Garten am Pool abhält.

So komme ich heute nicht mehr zur geplanten Stadtbesichtigung. Córdoba ist mir wichtig zu sehen, weil Celine hier 2014 vor dem Studium drei Monate mit einem Pflegepraktikum verbracht hat. Ich habe ja noch 3 Tage Puffer in meiner Zeitplanung, also werde ich eine zweite Nacht hier verbringen und morgen in aller Ruhe durch die Stadt schlendern. Hier im Hostel lässt es sich jedenfalls gut aushalten!

So wird der Mittwoch zu einem Ruhetag, was den müden Knochen gut gefällt. Die Stadt stellt sich, wie die meisten, als ehemalig reich und prächtig dar, wo der Zahn der Zeit aber deutliche Spuren hinterlassen hat. Mir wird immer wieder von den Argentiniern gesagt, dass die Verelendung, die mir auf den Straßen begegnet, vor COVID nicht halb so schlimm war. Da wird wieder bewusst, wie gut wir es in Deutschland haben. In anderen Ländern sind viele Menschen ihre Jobs losgeworden und einfach ins Bodenlose gefallen, ohne dass sie ein Sozialsystem aufgefangen hätte! Insgesamt gefällt mir die Stadt jedoch ganz gut, und ich finde hier so manches Mitbringsel für die Heimat.

Alte Pracht an der Avenida Colón, die an „potemkin’sche Dörfer“ erinnert!
Die Kathedrale von Córdoba
Alte Pracht an der Plaza San Martin in Córdoba

Nach der obligatorischen Kontrolle von Hinterreifen und Kette geht es am Samstag von Córdoba nach Mendoza, der Hauptstadt des argentinischen Weinanbaus. Nach dem Schwitzen der vergangenen Tage, ist es eine Freude, bei 22 Grad Córdoba zu verlassen, um gleich in eine Traumlandschaft einzutauchen! Die Alta Cumbres bauen sich direkt hinter der Stadtgrenze auf. Sie führen mich auf über 2.200 Meter und es wird so kalt, dass ich sämtliche Lüftungen am Anzug schließe und die Griffheizung zum ersten Mal seit Ushuaia einschalte. Nach der Öde der vergangenen Tage verschaffen mir die vorbeifliegenden Felsen und die hohen Berge am Horizont bei wolkenlosem Himmel ein Hochgefühl. Dazu kommt etwas später noch ein Naturschauspiel, dass ich so nah und lang anhaltend noch nie vor die Linse bekommen habe: Die Staubsäule eines Tornadowirbels überquert genau vor mir die Straße und verharrt dann für mehrere Minuten direkt rechts der Fahrbahn. Eine ganze Weile kann ich aus unmittelbarer Nähe dem Spektakel zuschauen und bin beeindruckt vom Geräuschpegel dieses fauchenden Monstrums – da möchte man nicht drin sein!

Endlich mal wieder etwas für’s Auge: Die Alta Cumbres erheben sich auf Höhen von über 3.000 Metern!
Ein Tornado-Trichter hält sich längere Zeit am rechten Straßenrand vor Mendoza.

Hier in der Ebene vor Mendoza wird es wieder unangenehm warm, so lege ich eine Stunde vor Mendoza an einer Tankstelle noch eine Trinkpause ein. Offensichtlich aus gutem Grund inspiziere ich dabei einmal mehr den Zustand des Hinterreifens und kann es kaum fassen, was sich da auf den letzten Kilometern getan hat. An mehreren Stellen kommt das Gewebe der Reifenkarkasse zum Vorschein. Zum Teil ist bereits die dritte Gewebelage zerstört! Mir wird ganz anders, denn es fehlt an jeglicher Erfahrung, was das für die verbleibenden 58,6 KM bedeutet, die mir das Navi zum Etappenziel nach Mendoza anzeigt. An San Antonio ist gar nicht mehr zu denken, das schaffe ich mit dem Reifen nie, aber werde ich überhaupt bis Mendoza kommen? Und was passiert, wenn das Gewebe endgültig durch ist? Platzt der Reifen mit einem Knall, oder wird die Luft langsam entweichen?

Schockierende Entdeckung vor Mendoza: Nur 500 KM vor dem Ziel segnet der Hinterreifen doch noch das zeitliche!

Mit dieserlei Fragen im Kopf und einem reichlich unguten Gefühl fahre ich das Moped wie ein rohes Ei nach Mendoza, ständig darauf gefasst, dass unter einem lauten Knall das Moped ins Schlingern gerät. Weil so kurz vor Mendoza der Verkehr zunimmt, kann ich nicht so langsam fahren, wie es der Situation angemessen wäre. Zu allem Überfluss gibt es auf der weiteren Strecke eine Baustelle, die den Asphalt über 3 Kilometer gegen Schotter tauscht. Wider aller Erwartung hält der Reifen durch und bringt mich schließlich ohne Zwischenfall nach Mendoza. Es ist Samstagabend, 18:30 Uhr. Keine gute Zeit, um einen neuen Reifen zu finden! Neu muss er ja gar nicht sein. Es reicht, wenn er mich die letzten 500 KM nach San Antonio bringt. Aber ein 18-Zoll Hinterrad ist bei den hier gängigen Motorrädern nicht üblich.

An einer Ampel hält neben mir eine Honda Transalp – für hier ein großes Moped, von dem ich nicht weiß, ob es ein 18″- oder 17″ Hinterrad hat. Ein schneller Blick auf den Reifen bringt die ernüchternde Erkenntnis: 17″. Also wird der Typ keinen passenden Altreifen in seiner Garage haben! Trotzdem spreche ich ihn an und schildere ihm mein Problem. German, dessen Großvater aus Deutschland auswanderte, zeigt sich sofort engagiert und nimmt mich zu sich nach Hause. Dort geht er auf eine Web-Seite, über die Mopedfahrer in Mendoza mit gebrauchten Ersatzteilen handeln und fragt nach einem Reifen meiner Größe. In weniger als einer Minute kommt die Antwort: Jemand hat den passenden Reifen und schickt gleich ein Photo dazu. Ein kurzer Anruf bestätigt auch noch dessen Eignung für schlauchlose Nutzung – so viel Glück kann man doch gar nicht haben! 15 Minuten später treffen wir den Verkäufer an einem verabredeten Ort in der Stadt. Reifen und 15.- US$ wechseln die Besitzer an einer Straßenkreuzung, wie Drogen und Geld in einem schlechten Krimi.

Jetzt brauchen wir nur noch eine Werkstatt, die am Samstagabend um 20 Uhr einen Reifen wechselt. Auch hier weiß German eine Location und führt mich in eine winzig kleine Reifenwerkstatt an einer Straßenecke, in die ich unter anderen Umständen niemals einen Fuß setzen würde. Es gibt hier inmitten von Reifenstapel nicht mal Maschinen für den Reifenwechsel, aber ein schmieriger Typ erledigt den Wechsel mit langen Montierhebeln von Hand in kaum fünf Minuten! So stehe ich um kurz nach 8, nur eineinhalb Stunden nach Ankunft in Mendoza, mit neuem Hinterreifen da und habe das Problem gelöst, das kurz zuvor noch unlösbar schien! Es bestätigt sich mal wieder die Erkenntnis, die mich das Reisen lehrt: Es gibt immer einen Weg heraus!

Ein neuer gebrauchter wird die Reststrecke nach San Antonio schaffen!

Was für ein guter Instinkt hat mich genau German an der Ampel ansprechen lassen? Mehr als glücklich begebe ich mich nach der Verabschiedung von ihm auf die Suche nach einer Unterkunft, die ich direkt neben der Plaza de Independiencia in einem Hostel finde, das mir für ganze 2.000 Pesos (5.-€) einen Schlafplatz im Dormitorio mit sechs Betten, inklusiuve Frühstück, anbietet. Das ist, wie man sich vorstellen kann, keine Offenbarung, aber für die paar Stunden Schlaf ausreichend.

Am frühen Morgen mache ich mich am Sonntag auf die letzte Etappe mit dem Moped auf dieser Reise. Und das ist nochmal eine besonders schöne! Denn heute geht es vorbei an einigen der höchsten Andengipfeln über den Paso Cristo Redentor (3.200 m) nach Chile – mein 32. Grenzübertritt auf dieser Reise! Es ist eine atemberaubend schöne Landschaft, die sich mir offenbart. Schon kurz hinter Mendoza erscheinen am Horizont die ersten schneebedeckten Gipfel, die sich genau auf der Grenzlinie wie Perlen an der Kette aufreihen und bis zu 6.960 m hoch sind (Cerro Aconcagua). Ab dem Lago Potrerillos führt die Strecke über etwa 150 KM sanft ansteigend hinauf auf den Pass, auf dessen Spitze sich die Grenze befindet.

An der Stadtgrenze von Mendoza offenbaren sich die höchsten Gipfel der Anden genau auf der Grenzlinie Argentinien / Chile.
Lago Potrerillos

Es fällt schwer, von einem Pass zu sprechen, denn was sich in den Alpen über wenige Kilometer mit großer Steigung und vielen Serpentinen abspielt, geschieht in den Anden ganz unaufgeregt auf einer recht geraden Straße über 150 KM mit sanftem Anstieg. Klingt langweilig; ist es aber nicht! Denn dafür sind die Berghänge entlang der Straße wunderschön anzuschauen, wie sie in den verschiedensten Farben schimmernd hoch aufragen.

Das mir vertraute Bild von Chile: Bunte Berge zeigen, was hier alles an Bodenschätzen versteckt ist!
Passfahrt auf chilenisch: Von Meereshöhe hinauf auf 3.200 m ohne eine einzige Serpentine!

Die Grenze liegt auf der Passhöhe, oder genauer gesagt inmitten des Tunnels, der darunter hindurch führt. Es ist der modernste Grenzposten, den ich je zu sehen bekam. Wohl um dem rauen Klima im Winter zu trotzen, führen Auffahrrampen in eine riesige aufgeständerte Röhre, in der die Abfertigungshalle untergebracht ist. Dort werden die Fahrzeuge in 8 Reihen abgefertigt. Das läuft alles super organisiert und zügig ab. Ich erhalte das Ausfuhrpapier für das Moped und den Stempel in den Pass und bin beinahe so schnell aus der Röhre raus, wie ich hinein gekommen bin.

Mein Plan ist der, die letzten drei Nächte der Reise in der Villa Kunterbunt in Valparaiso zu verbringen. Das ist ein Anlaufpunkt der Mopedreisenden vor oder nach der Verschiffung ihrer Bikes von/nach Europa, den ich von meinem Freund Ralf (Ali) kenne. Allerdings hat er mich schon gewarnt, dass die Villa möglicherweise nicht mehr in Betrieb sei, nachdem die Betreiberin letztes Jahr verstorben und unklar ist, ob ihr Partner diese weiter führt. Als ich dort am Nachmittag ankomme, ist diese Frage leider schon mit dem ersten Blick auf die Villa sehr eindeutig beantwortet. Fenster ohne Glasscheiben stehen offen mit wehenden Vorhängen, und im Dach klaffen große Löcher! Hier wohnt definitiv keiner mehr! Erstaunlich, wie schnell der Verfall ist. Auch die Stadt macht einen extrem desolaten Eindruck, und es scheint, dass COVID ihr sehr zugesetzt hat.

Bunte Fassaden in Valparaiso

Als ich bei genauer Betrachtung der Karte feststelle, dass San Antonio, wo ich am Mittwochmorgen mein Moped zur Verschiffung abgeben werde, doch viel weiter entfernt liegt als vermutet, ändere ich kurzerhand meinen Plan und verlasse Valparaiso nach einer nur kurzen Runde durch die bunten Gassen und quartiere mich in Cartagena (10 KM vor San Antonio) in einem netten Hotel am Strand ein. Ich bekomme ein schönes Zimmer mit Terrasse zum Meer! Da lässt es sich die verbleibenden zwei Tage gut aushalten und vom amerikanischen Kontinent Abschied nehmen!

Meine letzte Station auf dieser Reise in Cartagena bei San Antonio: Blick aus dem Hotelzimmer am Abend!

Der Hotelbetreiber Cristian ist so nett, mir die Vollmacht für den Spediteur auszudrucken, die ich am nächsten Morgen vom Notar beurkunden lasse. Damit darf der Spediteur in meinem Namen das Moped aus Chile ausführen! Nun kann ich bis Mittwochmorgen ausspannen und dann die endgültig letzte Etappe dieser Reise antreten.

Der Besuch beim Notar liefert die Vollmacht für den Spediteur, mein Moped ausführen zu dürfen!

2 Gedanken zu “64 Asunción – Cartagena: Feels like riding home!

  1. micha1200gs schreibt:

    Es ist vollbracht! Glückwunsch zu dieser traumhaften Tour!
    Genieße die letzten Tage. Ich wünsche Dir eine gute Heimreise und freue mich auf ein Wiedersehen.

    Liebe Grūße
    Micha

    Like

  2. Carsten Bo Andersen schreibt:

    Hallo Wolfram
    Auch von uns Wünsche wir eine letzte gute Reise nach Hause, wir haben mit Interesse jede deine Berichte gelesen (gefressen). es hat eine fantastische und traumhafte tour gewesen. Ich schätze du bist jetzt „satt“
    LG
    Carsten

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s