61 Ein schwarzer Tag

Als wir am Dienstag Santo Tomé in Richtung Parque Nacional Estero de Iberá verlassen, wissen wir, dass uns eine lange, staubige Piste bevorsteht. Deswegen sind wir schon um halb acht unterwegs auf der ruta 14 in Richtung Iguazú. Nach 25 km zweigt die Piste links in Richtung Westen ab. Orange-rote Erde soweit das Auge reicht. Und in der Tat, es staubt schon arg im Rückspiegel. Die entgegenkommenden Holz-LKWs hüllen uns atompilzartig in den roten Dunst, aber zum Glück sind es nicht allzu viele solche Gefährte, die zu dieser frühen Stunde unterwegs sind. Dafür überrascht die Piste mit einem guten Zustand. Doch an einigen Stellen deuten ausgehärtete Furchen auf das hin, was einen hier bei Regen erwartet. Das möchte man nicht erleben!

So geht das etwa eine Stunde lang im gemütlichen Tempo und ohne Anspannung voran, und der Fahrzeugverkehr geht nach 15 km auf Null runter. Aus der Steppe gelangen wir mehr und mehr in Wald, und die Temperatur steigt schon auf über 30 Grad. Zufrieden mit der Fahrt, bin ich zunächst nicht besorgt, als am Pistenrand einige Wasserrillen auftauchen. Doch dann wird der Untergrund auf einmal sehr problematisch. Tiefe Matschfurchen zwingen mich auf einen schmalen Steg, der noch trocken ist. Dann folgt ein erzwungener Spurwechsel und auch der bislang trockene Steg wird schmierig. Die Gedanken rasen. Was soll ich tun? Am besten etwas Tempo behalten, damit ich die Balance auf dem schmalen Steg halten kann! Der Gedanke ist noch nicht ganz zu Ende gedacht, da rutscht das Vorderrad auf dem schmierigen Steg nach rechts weg und wir landen bei vielleicht 20-30 km/h unsanft im Schlammloch!

Ort des Geschehens: Unsanfte Landung im Matsch! Hinten sieht man den erzwungenen Spurwechsel der alles auslöste.

Ich stehe sofort wieder auf den Beinen und spüre rein gar keine Folgen des Sturzes, aber meinen Bellissima liegt auf dem Rücken und sagt sofort, dass mit der rechten Hand und dem rechten Fuß etwas nicht in Ordnung sei. Vorsichtig befreie ich Ariane aus der misslichen Lage, doch nach dem Aufstehen wird ihr gleich schwindelig – sie ist etwas geschockt! Vorsichtig befreie ich sie von Helm und Jacke, denn mit der Hand kann sie nichts mehr tun. Es besteht die Sorge, dass sie möglicherweise gebrochen ist. Der Fuß schmerzt auch, scheint aber weniger ernsthaft verletzt zu sein.

Ein wenig Pause im Schatten und etwas Wasser helfen über den ersten Moment, aber was nun? Bemerkenswert ruhig, wie immer in kritischen Situationen, analysiert Ariane, dass sie ins Krankenhaus zum Röntgen muss, aber nicht auf der Piste mit dem Motorrad zurückfahren kann, da die Erschütterungen für die Hand zuviel wären. Also per Anhalter in einem Auto zurück zur ruta 14 und dann nach Santo Tome? Ja, aber das Problem: Wann kommt das nächste Auto in Gegenrichtung? Wir haben in der letzten halben Stunde keines mehr gesehen!

Mir wird erst langsam gewahr, was für ein Schlamassel das hier ist, und ich könnte mich in den Hintern beißen, dass ich mich nicht anders entschieden habe. Klar, hinterher ist man immer schlauer, aber ich hätte Ariane absteigen lassen sollen und das Moped alleine durch die schwierige Passage fußeln sollen. Ich fühle mich entsprechend schlecht und frage mich, warum nach fast 49.000 km ohne einen einzigen Umfaller, ausgerechnet jetzt mit meiner Liebsten auf dem Soziussitz sowas passieren muss! Darauf gibt es aber keine schlüssige Antwort!

Ariane geht nach einer Erholungspause erstmal zu Fuß aus der kritischen Zone heraus die Piste zurück, während ich mich an die Schadensbegutachtung begebe. Es ist erstaunlich wenig mit dem Moped geschehen. Es hat lediglich die rechte Packtasche aus der Halterung gerissen, die ich in 10 Minuten notdürftig mit Gurten repariere. Schweißgebadet bekomme ich sogar das Moped ganz gut alleine wieder in die Aufrechte und schaffe es dann auch in diesem verspurten Matsch zu wenden, um schnell wieder bei Ariane zu sein, die 500 Meter weiter im Schatten wartet. Die Hand schmerzt sehr, der Fuß ist so lálá! Aber sonst geht es ihr wieder besser – sie ist halt tough!!! Und zusammen funktionieren wir in solchen Situationen – ist ja nicht das erste mal – ziemlich gut.

Wir müssen nur knapp 15 Minuten warten, bis aus der gewünschten Richtung ein weißer Toyota Pick-up auftaucht. Der Fahrer ist gleich bereit, Ariane die 55 km bis zur Asphaltstraße mitzunehmen. Unterwegs erzählt er Ariane, dass wir nicht nach Santo Tomé zurückfahren müssen, sondern 40 km weiter in unserer Richtung nach Iguazú ein Hospital sei. So packe ich meine tapfere Sozia wieder in Jacke und Helm – für Aussenstehende sicher ein lustiges Schauspiel – und wir quälen uns bei 38 Grad nordwärts zum nächsten Ort, Gobernador Virasoro. Dort finden wir auch gleich das Hospital, was schon beim Anblick der Toiletten wenig Vertrauen erzeugt. Als man Ariane dann eröffnet, dass die Röntgenfachfrau erst in knapp 2 Stunden komme und ein Traumatologe erst am nächsten Tag die Bilder beurteilen könne, ist die Entscheidung klar: Wir fahren nochmal 100 km weiter durch die Hitze nach Posadas. Das ist eine große Stadt – die Provinzhauptstadt von Misiones – und dort gibt es eine große Klinik. Zuvor erstehen wir noch eine elastische Binde und ein Ibuprophengel, um die Hand für die Weiterreise zu versorgen.

Die Fahrt ist allein wegen der Hitze schon eine Tortur, aber für Ariane muss es nochmal heftiger gewesen sein, diese eineinhalb Stunden unter Schmerzen auf dem Sozius zu schwitzen! Aber es kommt keinerlei Klage! In Posadas lassen wir uns vom Navi erst zum falschen Krankenhaus schicken und landen erst weitere 30 Minuten später im Hospital Madariaga, einer modern wirkenden Klinik, die ganz gut organisiert scheint. Da liegt der Sturz bereits mehr als fünf Stunden zurück! Sofort nimmt sich ein Ordner Ariane an und schleust sie durch die notwendigen Stationen, um erstmal im Sstem aufgenommen zu werden.

Das Hospital Madariaga in Posadas ist gut 5 Stunden nach dem Sturz erreicht!

Im klimatisierten Warteraum wird Ariane nach einer halben Stunde per Monitor zur „Triage“ aufgerufen. Was so markaber klingt, ist letztendlich nur eine kurze Konsultation mit einem Arzt, der entscheidet, welcher Facharzt hier zuständig ist – in diesem Fall ein Traumatologe. Der ruft Ariane schon bald darauf ins Sprechzimmer und verordnet ein Röntgen, das auch wenige Minuten später stattfindet. Eine weitere kurze Wartezeit später holt der Traumatologe Ariane nochmal ins Sprechzimmer und verkündet die frohe Botschaft, dass die Hand nicht gebrochen ist! Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen!!! Am Ende bezahlen wir für die Leistung, inklusive Röntgen, ganze 2.000.- Pesos – das sind lächerliche 5,20 € – unglaublich!

„SCHUTZ KREKELER ARIANE ALICE“ wird zur „Triage“ aufgerufen, in der es aber nicht um Helfen oder Sterbenlassen geht!

Es ist 17 Uhr, als wir die Klinik nach zweieinhalb Stunden verlassen. In einer Farmacia kaufen wir Schmerztabletten und eine Orthese (das kostet auch fast nichts), und dann quartieren wir uns für zwei Nächte in eine sehr nette Pension ein. Da uns nun der Nationalpark entgeht, gewinnen wir zwei Tage im Zeitplan, von denen wir zumindest den morgigen Mittwoch als Ruhepause nutzen wollen. Heute Abend gönnen wir uns auf den Schrecken erstmal ein schickes Abendessen mit einer üppigen Sea Food-Platte!

Posadas erweist sich mit seiner Lage am Rio Paraná, an dessen anderem Ufer die paraguayische Großstadt Encarnación liegt, als sehr interessanter und zum Teil auch schöner Ort. Am Mittwoch werden erstmal die Essentials erledigt. Das sind das Geld abholen bei Western Union (in Argentinien immer ein kleiner Akt!) und das Abgeben der matschigen Mopedkleidung in der Wäscherei. Als ich mich bei der Wäscherin für die extreme Verschmutzung der Kleidung entschuldige, antwortet diese nur lapidar: „Saubere Kleidung waschen wir nicht!“

Am Nachmittag wollen wir die Flusspromenade erkunden. Bei 40 Grad ist das zu Fuß allerdings zu weit. Also versuchen wir es auf dem Moped in leichter Bekleidung – keine gute Idee! Die Hitze ist so arg, und der permanent laufende Ventilator des Mopeds bläst dazu noch glutheiße Luft auf die Beine, dass es regelrecht schmerzt! So landen wir in einem netten Gartenrestaurant und genießen den Blick über den Rio Paraná und Encarnación, das mit seiner modernen Skyline gegenüber beeindruckt. Eine schicke zweimastige Brücke führt über den Fluss, und darauf pendelt ein moderner Zug zwischen den beiden Großstädten. Auf unserer Seite dominiert zudem „Andresito“ – eine überlebensgroße Statue (17m) aus Edelstahl, die Andrés Guacurari darstellt, der im frühen 19. Jahundert die Region Misiones von den Paraguayern befreit hat.

Andresito an der Promenade am Rio Paraná in Posa

Arianes Hand zeigt heute schon Anzeichen der Besserung, doch sie ist noch immer unbrauchbar. Morgen soll es weiter gehen, aber wegen der Hitze und der noch schmerzenden Hand teilen wir die Strecke bis Iguazu in zwei Etappen und planen nur bis El Dorado zu fahren, das ebenfalls am Rio Panará gelegen ist. So geht die unheilvolle Etappe dem Ende zu, für Ariane schmerzhaft, für mich beschämend!

2 Gedanken zu “61 Ein schwarzer Tag

  1. micha1200gs schreibt:

    Hallo Ihr Lieben,
    Es tut mir unendlich leid, dass Ihr gestürzt seit und Arian solche Schmerzen davontragen musste. Das dann noch bei solch quälenden Temperaturen.
    Und trotzdem hattet Ihr offensichtlich Glück im Unglück!
    Ich drücke von Herzen die Daumen, dass die Hand bald wieder in Ordnung kommt und die nächsten Streckenabschnitte Um- und Unfallfrei bleiben.
    Gute Besserung und gute Fahrt,

    Micha

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  2. erikaweberstalder schreibt:

    Liebe Ariane, lieber Wolfram

    Wir sind froh, hast du, liebe Ariane, keinen Bruch an deiner Hand erlitten und wir hoffen sehr, dass ihr zwei den Rest der Südamerika-Reise noch voll geniessen könnt. Gute Besserung!

    Kommt gut nach Hause und hoffentlich bis bald in der Schweiz, wo es (vielleicht) keine gefährlichen Pisten hat.

    Herzliche Grüsse

    Erika und David

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