Was für Räubergeschichten wurden mir von quasi jedem erzählt, mit dem ich über Buenos Aires gesprochen habe! Das Bild von der Hauptstadt, das dabei gezeichnet wird ist so furchteinflößend, dass selbst mir, dem unbesorgten „Hansguckindieluft“ Zweifel kommen, ob es eine gute Idee ist, Ariane mitten in der Nacht mit dem Moped vom Flughafen abzuholen. So entscheide ich mich schlussendlich für ein Taxi, um mir dann vom Taxifahrer anzuhören, dass die Fahrt auf der Autopista zum Flughafen auch in der Nacht absolut sicher wäre. Und es wiederholt sich zum x-ten Male die Erfahrung, als ich im Taxi über die sehr gepflegte Autopista fahre: Wenn Du selbst vor Ort bist, sieht alles gar nicht schlimm aus!
Der Flieger aus Bogota landet überpünktlich, und um kurz vor eins halte ich meine Liebste glücklich und erschöpft in den Armen! In knapp 30 Minuten bringt uns ein Fahrer zurück zum Hotel, das Ariane sehr schön ausgesucht hat – zentral gelegen und mit einer sehr schönen Architektur! Das wird für die kommenden vier Nächte und drei Tage unsere Basis sein, um die niemals schlafende Stadt des Tangos zu erkunden.

Am Dienstag begeben wir uns per Pedes auf Stadttour und beginnen diese mit einem Frühstück im legendären Café Tortoni auf der Avenida Mayo. Sowohl draußen auf der Straße als auch drinnen im Café fühle ich mich extrem an Paris erinnert. Architektur und das Flair der Straße ähneln auffallend der französischen Hauptstadt! Es macht trotz der Hitze Spaß, durch die Prachtstraßen von Buenos Aires zu laufen, aber die Entfernungen sind doch so groß, dass wir uns für den morgigen Tag vornehmen, das Sightseeing per Pedale fortzusetzen. Die Mittagshitze verbringen wir ganz angenehm im Schatten der Alleebäume am Paseo de la Gloria im Stadtviertel Puerto Madero. Am Abend treffen wir uns mit Paula aus Bogota, die zur Zeit in Buenos Aires wohnt. Paula und ihre Schwester Maria haben beide in den 2000-er Jahren ein Schulhalbjahr in Berlin verbracht und bei uns gewohnt. Sie sind quasi ein Teil unserer Familie! Mit Paula und ihrem argentinischen Freund Pedro verbringen wir einen sehr netten Abend mit gutem Essen und einer Tango-Show, die wirklich beeindruckende tänzerische und musikalische Akrobatik bietet – ein Hochgenuss, auch für den Tanzmuffel!







Den Mittwoch verbringen wir radelnd in der Stadt und widmen uns dabei auch den weiter entlegenen Stadtvierteln, allen voran dem Stadteil Palermo. Der Weg dahin geht durch San Telmo, wo wir den wunderschön in einer gusseisernen Halle untergebrachten Mercado Central besuchen – ein Genuss für alle Sinne! Auf der Plaza Dorrego nehmen wir einen Imbiss und erhalten dabei gleich mehrere Tangovorführungen, mit denen sich Paare etwas Geld zu verdienen suchen – ein eher schwieriges Geschäft in Zeiten der Inflation und des noch immer geschwächten Tourismus!




Von zweifelhaftem Ruf ist das Viertel La Boca, das wir anschließend unter die Räder nehmen. Schon auf dem Weg dahin werde ich mehrmals von anderen Radlern aufgefordert, gut Acht auf meine Kamera zu geben. Aber auch hier ist der Ruf schlimmer als die Realität. Meine Vorsichtsmaßnahme, die Speicherkarte aus der Kamera zu nehmen erweist sich als unnötig, ja übertrieben! Ohne ausgeraubt zu werden, können wir die bunte Atmosphäre der Calle Caminito genießen. Nirgends habe ich mehr blau-weiße Trikots mit der Nummer 10 gesehen als hier! Messi und auch noch Maradonna sind die Nationalhelden, die man hier sehr in Ehren hält!


Bevor wir den Tag in Palermo mit einem Abendessen mit Paula beschließen, machen wir noch einen Sidestep zum Cementerio de la Recoleta. Dieser beherbergt – ähnlich wie Monmatre in Paris – die Größen des Landes, allen voran Evita (Eva Peron), die jung verstorbene Frau des argentinischen Präsidenten Duarte. Die Stimmung auf diesem Friedhof ist schon eine besonders morbide! Viele der zum Teil prächtigen Mausoleen sind dem Verfall preisgegeben und versinnbildlichen die Vergänglichkeit des Lebens auf bedrückende Art und Weise! Ich muss erstmal tief durchatmen, als ich diesen Ort verlasse!
Auf unseren Leihfahrrädern, die selbstverständlich über kein Licht verfügen, fahren wir nach dem Abendessen mit Paula einmal quer durch die Stadt zu unserem Hotel zurück. Der Verkehr in Buenos Aires ist für eine solch große Stadt ausgesprochen ruhig. Sowohl in der Menge als auch in der Fahrweise sind die Autofahrer in der Stadt des Tangos sehr angenehm!

Am letzten Tag unseres Aufenthaltes in Buenos Aires können wir die Fahrräder noch bis zum Mittag nutzen und entdecken mit dem Congreso und der Plaza Lavalle noch sehr schöne Orte. Am Nachmittag versuche ich ein wenig mit dem Blog Schritt zu halten, was mir aber nicht recht gelingt, während Ariane sich den Palacio Barolo anschaut, der sehr markant mit seiner ziselierten Turmgestalt aus der ihn umgebenden Bebauung herausragt.




Am Abend geht es mit der U-Bahn weiter, die hier „Subte“ heißt, was für Subterraneo steht. Natürlich interessiert mich beim Betreten des Zuges als erstes, wer diesen denn gebaut hat, und siehe da: Es war der Jointventure-Partner aus Changchun CRRC, mit dem ich über fast 20 Jahre so viel Zeit verbracht habe! Wir fahren einmal mehr nach Palermo, das uns so gut gefallen hat, um dort ein wenig das Nachtleben zu fühlen. Heute ergattern wir sogar im angesagten Restaurant, das ganz selbstbewusst auf den schönen Namen „El Preferido“ hört, einen Platz, was uns gestern mit Paula nicht gelang!
Anschließend schlendern wir durch die Gassen Palermos, in denen das Geschnatter der flanierenden und konsumierenden Leute erfreulicherweise die Oberhand über den Straßenlärm gewinnt. Überall sitzen die Menschen auf der Straße und unzählige Musiker unterhalten diese mit Jazz- und Rockmusik – ein herrliches Ambiente!

Den krönenden Abschluss des Tages und auch des ganzen Aufenthaltes in Buenos Aires erleben wir nach langem Fußmarsch in einem abgewrackten Veranstaltungsgebäude namens „La Catedral“ bei einer Milonga. Gute Tangotänzer sehen wir da zwar nicht, doch dafür begeistert ein Trio aus Guitarre, Klavier und Geige mit artistischen Musikdarbietungen. Als wir die Augen gar nicht mehr offen halten können, nehmen wir den Bus zurück zum Hotel, denn die Subte macht hier schon um 23 Uhr dicht.

Das waren drei wunderschöne und hoch interessante, dabei auch intensive, Tage in Buenos Aires, einer Stadt, in die wir schon mit hohen Erwartungen gekommen sind und dennoch sehr positiv überrascht wurden – unbedingt eine Reise Wert! Von den dunklen Seiten der Stadt, die es ja geben mag, haben wir nichts zu sehen bekommen. Ich denke, für den einzelnen hält sich das Risiko in Grenzen. Der Puls der Stadt, die freundlichen und lebensfrohen Menschen, der allgegenwärtige Tango, der gemächliche Verkehr und die tolle Architektur machen Buenos Aires zu einer besonderen Stadt, in der ich mich sehr wohl gefühlt habe! Dazu kommt natürlich das stimmungsaufhellende Moment des Zusammenkommens mit Ariane nach fast vier Monaten!
Morgen (20.1.) werden wir mit der Fähre nach Uruguay überstzen und an der Küste nach Montevideo und weiter über Brasilien in den nördlichen Zipfel Argentiniens, der Provinz Misiones, fahren.
Hallo Wolfram,
auch mir hat Buenos Aires immer sehr gut gefallen. Der immense Reichtum der Vergangenheit begründet die mondäne, sehr europäische Architektur. Interssant empfand ich die Grabpflege in Argentienien, die ja im Wesentlichen aus dem Abstauben des Mausoleums mit dem Wedel besteht. Wir wünschen Euch viel Spaß in Montevideo und auf der Weiterfahrt.
Beste Grüße
Uli
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Hallo Wolfram, haben gerade deinen schönen Blogbeitrag gelesen und mit Erstaunen festgestellt, dass wir zur gleichen Zeit in BA waren… Für uns ging die Reise weiter Richtung Europa. Nun sind wir seit zwei Tagen in Rumänien an der Donau unterwegs. Liebe Grüße und euch eine schöne Tour. Frank und Kerstin
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