Manchmal sind Namen nur Schall und Rauch, doch die Carretera Austral hat nicht nur einen klangvollen Namen zu bieten, der übrigens nichts weiter bedeutet als „Südliche Straße“. Im Spanischen werden die Himmelsrichtung neben den bei uns üblichen Kompassrichtungen auch septentrional = nördlich, oriental = östlich, occidental = westlich und eben austral = südlich genannt.
Am Freitag, den 6. Januar fahre ich nach einem Ruhetag, der meiner Bronchitis gut getan hat, mit Steve etwa drei Stunden die Ruta 40 bis Bajo Caracoles, wo Mopeds und Mägen nochmal aufgefüllt werden, ehe wir uns wieder trennen und ich über eine einsame Piste auf die chilenische Grenze und die Carretera Austral zu steuere.

Auf dieser einsamen Piste wird die KTM mal richtig gefordert. Sehr grober Schotter und große Steine verlangen Aufmerksamkeit und volle Konzentration, machen aber auch viel Spaß. Das Auge wird je mehr es gen Westen geht mit großartigen Bergen, Seen, Flüssen und sogar mit zwei Flussdurchfahrten belohnt. Dazu spielt das Wetter noch prima mit und sorgt für einen Fahrgenuss der ganz besonderen Sorte!


Nach etwa 100 Kilometer taucht im Nirgendwo ein Abzweig zum Paso Roballos auf. Den muss ich nehmen. Eine steile Auffahrt führt mich über einen Bergkamm, und direkt dahinter erscheint aus dem Nichts ein einsames Backsteingebäude und daneben ein geschlossener Schlagbaum mit der Aufschrift „Pare“. Eineinhalb Stunden Fahrt ohne ein einziges Fahrzeug gesehen zu haben liegen hinter mir. Da mutet diese Bild etwas unwirklich an. Da niemand zu mir heraus kommt, gehe ich in das Gebäude hinein, wo ein verschlafen wirkender Zöllner aus einem Raum zum Empfangstresen kommt. In drei Minuten erhalte ich meinen Pass zurück und gebe das Zollpapier ab, das ich bei Einreise nach Argentinien erhalten habe. So darf ich 12 Kilometer durch Niemandsland weiterfahren, um die chilenische Einreise zu erledigen.
Dort sieht es auf einmal ganz anders aus. Eine lange Schlange von 13 amerikanischen Mopedfahrern mit Leihmopeds steht vor dem Schlagbaum. Dazu zwei PKW. Sie scheinen hier schon eine ganze Weile zu warten, denn als ich erscheine, erhalten diese einer nach dem anderen ihre Papiere und dürfen nach Chile einreisen. Ich bin eine Stunde später dran, aber dann geht’s auch schnell.

Von der Grenze fahre ich noch 70 Kilometer über eine ganz ordentliche, aber sehr staubige Piste, bis ich die Carretera Austral erreiche. Die Landschaft wird bis dahin zunehmend grüner und die Berge tragen zum Teil wieder weiße Kappen. Ich fühle mich sehr an die Schweiz erinnert!

Die Carretera Austral, oder auch einfach Ruta National 7 genannt, überrascht mich dann mit ziemlich viel Verkehr. Ziemlich viel heißt, dass mir etwa alle ein bis zwei Minuten ein Fahrzeug begegnet. Das reicht auf der staubigen Piste aber aus, um mich in kürzester Zeit in ein Staubmonster zu verwandeln. Ich spüre das graue Zeug überall, in den Augen, auf den Zähnen und in der Nase – nicht schön!!!
Zur linken begleitet mich der Rio Cochrane mit einer unwirklichen, türkisen Farbe. Ich würde gerne hineinspringen! Die Strecke ist sehr gut präpariert. So komme ich auf Pinochets Vorzeigeprojekt gut voran. In den achziger Jahren hat er mit dem Bau der Austral begonnen, um einerseits die südlichen Teile Patagoniens besser anzubinden, die bis dahin nur per Flugzeug oder Schiff zu erreichen waren, aber andererseits auch als militärische Infrastruktur, um im permanenten Grenzkonflikt gegen Argentinien besser gerüstet zu sein. Heute, 40 Jahre später, ist das Projekt längst noch nicht fertiggestellt. Man rechnet noch mit 25-30 Jahren, bis die Strecke auch Feuerland angebunden hat. Derweil geht die Asphaltierung der vorhandenen 1.000 km von Puerto Montt bis Villa O’Higgins zügig voran. Ich habe nur 230 Kilometer Schotter bis Cerro Castillo zu fahren. Danach ist fast alles asphaltiert.

Heute komme ich nur bis Puerto Rio Tranquilo, wo ich bei aufkommenden Regenwolken einen netten Campingplatz aufsuche, der viele Fernreisende beherbergt. Mit einigen komme ich am Abend im Gemeinschaftsraum ganz nett ins Gespräch. So auch mit Herbert aus Zürich, der mit seinem Landcruiser in etwa meine Tour in umgekehrter Richtung fährt. In der Nacht bietet mir das Zelt den gewünschten Schutz vor dem einsetzenden Regen. Wieder genieße ich diese schöne Stimmung eines Gewitters unter der dünnen Zelthaut, die soviel Unterschied macht!


Auch am Samstagmorgen ist es noch sehr verhangen, aber es bleibt zum Glück trocken. Dazu ist es windstill, was ein besonderer Genuss ist. Ich genieße die Fahrt auf der guten Piste durch diese wunderschöne Alpenlandschaft sehr. Nach zwei Stunden ist es mit der Pistenfahrt zunächst vorbei. Der Schotter weicht 13 Kilometer vor Cerro Castillo einer perfekten Betonoberfläche. Im Ort suche ich nach einer Werkstatt, um den mir fehlenden Schraubenschlüssel für den anstehenden letzten Tausch des vorderen Ritzels zu leihen. Der erste Mensch, den ich nach einem „Taller“ frage, führt mich gleich nebenan in seine Garage, und fünf Minuten später ist das Ritzel getauscht, die Kette gespannt und auch geölt! Alles fit für die Weiterfahrt auf Asphalt!

Ich bedanke mich und mache mich wieder auf den Weg, da sehe ich vor einem Restaurant zwei mir sehr vertraute Mopeds. Das eine eine rote F800GS und das andere eine weiße 1200GS Adventure. Drinnen im Restaurant treffe ich Ciro und Tiara, das Paar, mit dem ich vor einer Woche gemeinsam im Sturm von der argentinisch-chilenischen Grenze zur Fähre über die Magallanstraße gefahren bin! Und sie haben Steve im Schlepptau! Die Welt ist hier bei aller Großartigkeit doch sehr klein!

Steve hat sich doch dazu entschlossen, die Carretera Austral zumindest auf dem asphaltierten Teil zu erleben und ist über Perito Moreno nach Chile Chico gefahren, wo er Ciro und Tiara traf und mit ihnen die Fähre über den Lago Buenos Aires genommen hat, die ihn in die Nähe von Cerro Castillo führte. So gefunden, fahren wir den Rest des Tages gemeinsam weiterhin durch eine bilderbuchartige Berg- und Seenlandschaft über Coyhaique ein gutes Stück der Carretera Austral bis nach Villa Amengual, wo wir einen schönen Abend zusammen in einem gemütlichen Hostal verbringen und erstmals in Argentinien ein Steak genießen, das in der Tat etwas anderes ist als ein Steak bei uns!

Auch der Sonntag wird ein Fahrtag in der Kleingruppe. Am Vormittag gibt es nochmal eine kleine Herausforderung über einen Pass, auf dem die Austral nicht asphaltiert ist. Die Piste ist hier durch Regenfälle in einem sehr schlechten Zustand, was insbesondere für eine schwere GS mit Sozia eine gute Herausforderung darstellt. Am Pass sehen wir zur Linken einen schicken Gletscher, der ganz nah an die Straße heranreicht.
Nach gut 30 Kilometern ist auch dieser Part gemeistert und wir gelangen nach Puyuhuapi, einem kleinen Fischerdorf, das super idyllisch am Ende eines Pazifikfjords gelegen ist. Hier sind wir ganz nah der Linie, über die wir vor drei Wochen mit dem Schiff von Puerto Montt nach Puerto Natales unterwegs waren!


In Villa Sanata Lucia heißt es dann nach 3 phantstischen Tagen auf dieser wirklich einmalig schönen Carretera Austral Abschied nehmen. Wir tun dies nicht, ohne doch noch einmal ein Bad in einem der schönen Gewässer zu nehmen. Nicht alle, aber zumindest Ciro und ich trauen uns in den türkisfarbenen Fluss, ehe uns eine Piste über Futaleufú zurück zur argentinischen Grenze bringt. Hier sind auf über 120 Kilometer nochmal Nehmerqualitäten auf der groben Staubpiste gefordert. Alle meistern das ganz gut, wenngleich es den meisten am Ende auch reicht! In Futaleufú genehmigen wir uns ein Abschiedsessen und trennen uns nach dem problemlos verlaufenden Grenzübergang endgültig an der Tankstelle in Tevelin von Ciro und Tiara, die in einem Gewaltritt die verbleibenden 4.000 km nach Hause in nur 5 Tagen schaffen wollen!




Steve und ich verbringen noch einen letzten gemeinsamen Abend in Esquel. Ein netter Ort mit schönen Straßenkneipen, die bei strahlendem Sonnenschein und 25 Grad prima zu genießen sind! Am Montagmorgen (9.1.) nehme ich endlich Kurs auf Buenos Aires. Es sind noch genau 7 Tage, bis ich dort meine Bellissima treffen werde, und ich spüre die Vorfreude steigen!
Nächstes Ziel ist Puerto Madryn, wo ich mit Miguel verabredet bin. Er ist ein guter Freund von Kalle aus Ollantaytambo, der mir diesen Kontakt vermittelt hat. Bei Verlassen von Esquel komme ich gerade zu spät an einen Bahnübergang, der kurz zuvor von einem Dampfzug überquert wurde. Ich treffe dort auf Jan und Hendrik aus dem Vogtland, die gerade ihre Drohne in den Koffern ihrer Yamaha Ténérés verpacken. Sie wissen, dass der Zug gleich nur 5 km entfernt im Zielbahnhof einfahren werde und nehmen mich mit dorthin, wo wir uns eine zeitlang nett unterhalten und wertvolle Tipps für die Weiterreise austauschen.

Dann folgen fast 700 km durch die Steppe in streng westlicher Richtung gen Atlantik, für die meine Erwartungen eher gering sind. Umso glücklicher bin ich über die doch recht abwechslungsreiche Fahrt auf der endlosen Ruta 25 durch eine tolle Landschaft mit schönen Tafelbergen die oftmals von Flüssen durchstreift werden. Das Wetter wir zunehmend besser, was allerdings auch die am Vormittag noch angenehmen Temperraturen auf über 33 Grad steigen lassen. So fahre ich stundenlang mit guter Musik auf den Ohren durch die Steppe und lasse meine Seele baumeln, an Buenos Aires denken und mich vorfreuen!


Kurz vor Sonnenuntergang muss ich einmal mehr feststellen, dass alle potentiellen Übernachtungsplätze hinter den Zäunen liegen, die die Straße von den privaten Ländereien trennen. Wer braucht soviel Land? Und sollen einzelne Personen eigentlich soviel Land für sich alleine beanspruchen dürfen? Fragen über Fragen! Aus Verzweiflung suche ich in Las Plumas einen Campingplatz, finde ihn aber so schrecklich, dass ich schließlich doch weiterfahre und am Ende, als es gar nicht mehr anders geht, nur 20 Meter neben der Starße sicht- und windgeschützt hinter einem Busch mein Zelt aufbaue. Das ist gar nicht mal ein schlechter Platz. Die Straße wird nach Einbruch der Dunkelheit noch ruhiger als sie ohnehin den ganzen Tag schon war.
Am Morgen wache ich gerade früh genug auf, um das Zelt noch trocken einpacken zu können. Kaum, sitze ich wieder im Sattel, beginnt es auch schon zu nieseln. Mir reicht die Regenjacke. Fast zwei Stunden fahre ich so in Richtung Trelew, das schon nahe am Atlantik liegt. Dort hört der Niesel auf. Die Gegend ist wahrlich nicht schön und wird auch gen Puerto Madryn nicht besser, wo ich eine Weile an der mäßig schönen Strandpromenade verbringe und die Menschen beobachte, bevor ich mich bei Miguel melde.
Dieser setzt sich auf sein Moped und holt mich eine Stunde später dort ab. Er ist so ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt habe, ein Hühne von kräftiger Gestalt und jünger als gedacht (51 seit gestern!). Wir bleiben eine Weile am Strand und werden schnell warm miteinander. Er erweist sich als wirklich guter Freund von Kalle, ist voll auf dem Laufenden und zeigt sich sehr interessiert an meiner Reise. Auch er will schon in zwei Jahren mit der Arbeit aufhören und dann mit dem Moped die Welt bereisen!
Auf dem Weg zu seinem Haus machen wir noch einige Besorgungen für den Abend. Es wird Asado vom Grill geben – wir sind eben in Argentinien! Da der Metzger noch Mittagspause hat, besuchen wir gleich nebenan die 84-jährige Mutter von Miguel, wo wir einen Kaffee trinken und eine sehr nette Unterhaltung mit der freundlichen, lebhaften Dame haben.
Miguel wohnt etwas außerhalb der Stadt auf einem großen Grundstück, das er vor 13 Jahren einmal als wertbeständige Geldanlage gekauft hat, ohne so recht zu wissen, was er damit einmal machen wollte. Dann musste er vor einem Jahr ganz kurzfristig aus seiner Stadtwohnung ausziehen und hat in nur zwei Monaten diese kleine Hütte darauf gebaut, die nur ein erster Schritt zu einem größeren Haus sein soll, in das er später auch seine Mutter aufnehmen will.
Der Abend am Grill wird sehr kurzweilig und interessant. Das Asado schmeckt köstlich und ist natürlich viel zu viel! Die Nacht verbringe ich mit Schlafsack und Isomatte unter dem Vordach vor der Tür und erlebe dabei ein irres Gewitter mit Starkregen, das wohl die Innenstadt von Puerto Madryn unter Wasser gesetzt haben muss, wie mir Miguel eben auf Photos zeigt! Auch ich bekomme durch den Wind so einiges Wasser ab, bleibe aber im Inneren des Schlafsacks trocken. Das war ein guter Test für den Schlafsack!

Heute ist das Wetter etwas besser. Stark bewölkt mit zunehmenden Wolkenlücken, aber mit sehr starkem Wind! Gerne würde ich heute noch auf die Halbinsel Valdés fahren und mir dort im Nationalpark, der UNESCO Weltnaturerbe ist, die Tierwelt anschauen. Mal sehen, ob das heute möglich ist. Etwas Luft habe ich noch auf dem Weg nach Buenos Aires.
Herzlichen Dank für die vermittelten Impressionen. Viel Glück auf allen Wegen
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