Ushuaia – Sehnsuchtsort der Fernreisenden, südlichste Stadt der Erde, und welche Titel dieser Ort sonst noch alle tragen mag! Jetzt bin ich dort und doch etwas überrascht – man kann auch sagen enttäuscht – dass sich alles ein wenig anders darstellt als erwartet! Nicht falsch verstehen, es ist ein ganz netter Ort, und ich fühle mich auch wohl am Ziel dieser Reise, aber das erwartete Mekka, in dem die fernreisenden Mopedfahrer rund um das Lagerfeuer versammelt sitzten, Bier trinken und Benzin reden, das ist es nicht! Doch von Ushuaia werde ich im nächsten Blog sprechen, wenn ich es etwas mehr erforscht habe. Wie ging es von Puerto Natales weiter bis Ushuaia? Davon handelt dieser Blog.
Nach dem wunderschönen ersten Weihnachtstag, der uns durch den Nationalpark Torre del Paines geführt hat, werden wir am 2. Feiertag mit Sturm und Regen geweckt. Ui, da fliegen die Regentropfen horizontal durch die Luft! Bei uns ein handfester Sturm, hier eher etwas mehr Wind als normal! Noch während wir uns überlegen, ob das tatsächlich ein geeigneter Tag zum Weiterreisen ist, taucht auf einmal blauer Himmel auf. Der Wind bleibt, aber ohne Regen sieht’s einfach viel freundlicher aus. So geht das noch zweimal in der kommenden Stunde mit dem Grau und dem Blau hin und her, bis sich Petrus am Ende doch für den blauen Himmel entscheidet.
Fast geräuschlos fahren wir mit 90 Sachen in Richtung Osten aus Puerto Natales heraus, denn der Wind kommt in etwa gleich schnell hinter uns her – genau genommen ist er wohl etwas schneller, denn die Wolkenschatten überholen uns. So geht es etwa eine Stunde ganz angenehm voran. Die Reichweitenangabe erklimmt ungeahnte Sphären, das Moped scheint Benzin zu produzieren anstatt es zu konsumieren! Doch das ändert sich ziemlich drastisch, als sich die Straße rechts rum gen Süden wendet. Jetzt haut uns der Wind von rechts fast aus dem Sattel. Der Wind in Patagonien ist ja immer das erste, vor dem einen die Reisenden warnen, aber am Ende muss man es mal selbst erleben, was der patagonische Wind bedeutet! Es ist einfach unvorstellbar und ein Erlebnis der besonderen Art! In besorgniserregender Schräglage fahren wir auf schnurgerader Strecke dem Süden entgegen. Schon nach kurzer Zeit spüre ich, wie sich die Nackenmuskel verspannen und wie die Stirn über der rechten Schläfe vom Druck des Helmes schmerzhaft gepresst wird. Sowas habe ich auf hunderttausenden von Kilometern auf dem Moped noch nicht erlebt. Ich wundere mich, wie die Reifen auf dem Asphalt überhaupt noch haften und erwarte jeden Moment, dass einer von beiden aufgibt! Tut aber schlussendlich keiner – zum Glück!
Bis Punta Arenas geht das munter so weiter. Auch die Guanacos am Wegesrand tragen jetzt Sturmfrisur! Es waren heute zwar nur 250 Kilometer, doch mehr hätte ich auch nicht mehr fahren wollen. Ziemlich geschafft und erleichtert fahren wir in die unerwartet große Hauptstadt der chilenischen Provinz Magellan und beobachten dabei einen Flieger, der trotz des Sturmes hier landet und das sogar ganz gut hin kriegt. Als erstes besorgen wir uns für den nächsten Morgen ein Ticket für die Fähre nach Feuerland. Die Frau am Schalter macht uns wenig Hoffnung, dass die Fähre morgen auslaufen könne, da noch mehr Wind angekündigt sei – na prima – verkauft uns aber das Ding!

Kurz darauf steigen wir in der Stadt im „Hotel Savoy“ ab, was nur wenig von Joseph Roth’s Original in Lódz abgeschaut zu haben scheint, aber es gibt ein warmes Zimmer mit heißer Dusche – Herz, was willst Du mehr? Bei strahlendem Sonnenschein, 11 Grad und strengem Wind laufen wir erst die eindrucksvolle Uferpromenade entlang und erkunden dann das Stadtzentrum. Überall begegnet uns Fernando Magallan, der hier vor 500 Jahren die Durchfahrt vom Atlantik zum Pazifik entdeckt hat, die gleichzeitig die natürliche Grenze zu Feuerland darstellt. Schicke alte Gebäude im klassizistischen Stil kunden von einer prosperierenden Epoche im 19. Jahundert, als die Seefahrt hier noch vorherrschendes Business war. Punta Arenas ist in manchen Bereichen eine echt schöne Stadt, andere Ecken sind hingegen eher runtergekommen. Was hier auffällt: Die Autofahrer sind vergleichsweise diszipliniert. An Zebrstreifen wird bereitwillig gebremst!



Vor Sonnenuntergang genießen wir die letzten wärmenden Sonnenstrahlen am Strand. Der Pazifik ist hier trotz des starken Windes relativ ruhig. Eine riesige Vogelkolonie – es ist wohl eine Art Cormorane – bevölkert die Überreste eines alten Landungssteges und erinnert auf den ersten Blick an kleine Pinguine. Das Abendlicht glänzt im Uferwasser und verleiht dem Sand eine elegante dunkle Färbung – eine tolle Stimmung, die das Gemüt beflügelt! Bei diesem Licht ist es bereits 22:30 Uhr!


Entgegen aller Ankündigungen ist das Wetter am Dienstag den 27.12. ganz schön. Ein blau-weißer Himmel bewegt sich über uns bei lebhaftem, aber für hier sehr mäßigem, Wind hinweg. Somit gibt es beim Einschiffen auf der Fähre „Patagon“ keine Probleme. Es finden sich hier noch Mesangh, ein Mopedfahrer aus Texas, und Kirsten und Frank, Fahrradfahrer aus Sachsen. Ersterem gebe ich mit meinem Jump Starter Starthilfe, und mit letzteren habe ich eine nette Unterhaltung auf der Überfahrt nach Porvenir, dem ersten Ort auf Feuerland. Feuerland erhielt seinen Namen übrigens durch Fernando Magellan. Als er 1520 die nach ihm benannte Passage vom Atlantik zum Pazifik durchfuhr, sah er nächtens zu seiner linken auf der zerklüfteten und vom Festland getrennten Landseite die vielen Lagerfeuer der indigenen Urbevölkerung und nannte es kurzerhand „Tierra del Fuego“.
Unsere Überquerung der Magallanstraße ist zunächst ganz entspannt, wird aber ziemlich schaukelig, je mehr wir uns dem Ende der fast 40km langen Passage nähern. In Porvenir hat der Wind dann die bereits gewohnte Stärke!



Zum Glück kommt der Wind aus Nord-West und schiebt uns auf dem weiteren Weg, der uns auf guter Piste entlang der so schön genannten „Bahia Inútil“ – das heißt so viel wie „nutzlose Bucht“ – führt. Eine wunderschöne Strecke mit Null Verkehr! Unterwegs gibt es zur Linken weite Steppe gesäumt mit flachen Bergen und manchmal unterbrochen durch kleine Seen, die von Myriaden von Vögeln besiedelt sind. Zur Rechten begleitet uns dem gegenüber das Wasser der nutzlosen Bucht, an deren Ende uns eine ganz besonderes Wildlife-Erlebnis erwartet.

Von der Kreuzung mit der Ruta 257, an der wir eigentlich wieder Asphalt, bzw. Beton auf dem weiteren Weg zur argentinischen Grenze unter die Räder bekommen würden, führt eine 15 km lange Piste nach Süd-Westen zur „Reserva Natural Pingüino Rey“. Eine ganz schlechte Richtung, was den Wind angeht, aber ein wirklich lohnendes Ziel! Wir kämpfen uns eine knappe halbe Stunde durch den Wind, der uns wieder von rechts tracktiert, und stehen um halb zwei vor dem Reservat der Königspinguine, das uns an der Pforte wissen lässt, dass man hier nur mit vorheriger Online-Reservierung hinein komme. Kann man ja noch schnell erledigen, aber es gibt hier kein Netz! Schade eigentlich, doch wir haben wieder Glück, denn die freundliche Managerin der Anlage lässt uns auch so hinein, taxiert uns offensichtlich beide auf über 65!!!! und kassiert den ermäßigten Eintrittspreis OFFLINE.
Unter ihrer kundigen und sehr interessanten Führung erleben wir dann unter stürmischen Bedingungen die schönsten Pinguine, die ich je gesehen habe. Der Wind lässt uns nur schwer atmen und Halt auf den Füßen finden. Etwas später können wir aber aus einem halbwegs geschützten Unterstand sehr schöne Bilder von diesen putzigen Tieren schießen. Die Station hat laut Managerin sehr mit dem grauen Fuchs zu kämpfen, der sich gerne die jungen Pinguine einverleibt. Zwischenzeitlich war die Population sogar schon fast ausgestorben, und man ist stolz, diese auf mittlerweile rund 200 aufgepäppelt zu haben! Der starke Wind erspart uns das sehr arge Odeur der Pinguine, was ansonsten wohl nur von „nasal tauben Menschen“ zu ertragen ist!



Absolut begeistert von dem gerade Erlebten machen wir uns auf die 15 km lange Piste zurück zur Kreuzung. Diesmal erwischt es uns von links! Aber auch auf Schotter bleiben die Reifen in der Spur, und eine knappe halbe Stunde später sitzen wir entspannt im Sattel und lassen uns wieder vom Wind schieben. An der Grenze ist es schließlich so stürmisch, dass wir Schwierigkeiten haben, die Mopeds abzustellen. Da ist das Fahren fast einfacher als das Stehenbleiben! Die chilenischen Grenzformalitäten dauern gerade mal eine Minute! 15 km weiter brauchen wir ganze 5 Minuten, um beim Argentinier eingelassen zu werden – so schön kann das gehen! (Kleiner Hinweis an die Kollegen in Nicaragua, Guatemala, El Salvador, etc.!)

Eine Stunde später gelangen wir zum heutigen Etappenziel Rio Grande. Die Stadt empfängt uns mit widerwärtigem militärischem Geprotze! Panzer, Jagdflugzeuge und andere Militaria sind stolz auf Sockeln ausgestellt. Die Straßennamen beginnen allesamt mit militärischen Titeln. Es ist eine wenig einladende Stadt, was sich auch in der geringen Zahl an Herbergen zeigt. Nur 220 km von Ushuaia entfernt, scheinen hier nicht viele Reisende noch eine Zwischenstation einlegen zu wollen – WIR WOLLEN!
Das Hostal Antares, das ich im GPS ausgewählt hatte, gefällt uns schon von außen nicht. Deswegen fahren wir weiter ins Zentrum, in der Hoffnung dort besseres zu finden, was sich nicht erfüllt, und so landen wir schlussendlich doch bei Miguel im Antares, der sich zwar als netter Gastgeber erweist, dessen Hütte aber wirklich dringend aufgemöbelt werden sollte. Es fehlt hier an allem, was wohl in erster Linie der Inflation geschuldet ist, die hier bei 10% PRO MONAT liegt! Da wundert’s mich doch, dass wir Probleme haben die Dollars zu tauschen, die wir extra für Argentinien dabei haben. Miguel sagt, er brauche keine Dollars, da das bisschen Geld, das er einnehme ohnehin gleich wieder ausgegeben würde und er so kein Geld rumliegen habe, das entwertet werden könne.
Der einzige Ort in Rio Grande, an dem man Dollars tauschen könne, sei das Casino. Da bekommen wir dann einen mäßigen Kurs und tauschen nur die dringend benötigte Menge, womit wir das Hotel, ein Abendessen und die SIM-Karte für’s Telefon bezahlen. Der SIM-Kartenkauf erweist sich alsbald als maximal kompliziert. Zunächst stellt sich, in einer kurzerhand auf der Straße bei den jungen Mädchen durchgeführten Umfrage, Movistar mit knappem Vorsprung als der bevorzugte Provider heraus. In dem daraufhin aufgesuchten Movistar-Shop gibt es aber Probleme, uns zu bedienen WEIL – und das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – WEIL also der Wartenummerausgabeautomat mit einer Passnummer gefüttert werden will, die nach argentinischem Muster nur Zahlen, aber keine Buchstaben enthalten darf. Der deutsche Pass hat jedoch – wie wir alle wissen – einen schön bunten Zahlen-Buchstaben-Mix, und mit dem bekomme ich keine Wartenummer und ohne Wartenummer keine Bedienung %/$&=#‘-:;! So einfach ist das !!!
Erst ein netter Kunde argentinischer Provenienz schafft es, diesen gordischen Knoten zu lösen, indem er uns mit seiner rein numerischen Passnummer Zutritt zu den heiligen Hallen von Movistar verschafft – Hallelulja! Jetzt geht es weiter! Die freundliche Dame, die unsere Wartenummer dann aufruft, erklärt mir sogleich, dass wir hier nur die SIM-Karte bekommen, dass das Aufladen derselben aber nur an einigen Kiosken der Stadt erfolgen könne. Man brauche dazu „nur“ eine App, die man sich aus dem Internet herunteladen könne, wenn man denn Empfang habe. Sie lässt sich sogar dazu hinreißen, uns Netzzugang über ihr privates Phone zu gewähren, denn der Laden verfügt über kein Wifi! Der Laden eines Providers verfügt über kein Wifi – langsam wird’s grotesk!
Ausgestattet mit SIM und App, laufen wir also zum nächsten Kiosk, der mit vielen Movistar-Aufklebern ausgerüstet ist, aber kein Movistarguthaben verkauft! Dann zum nächsten, der „nur“ 10 Minuten entfernt liegt. Dieser verkauft zwar Guthaben, hat aber seinerseits nicht mehr genug Guthaben für den heutigen Tag. Dieses wird nämlich nur tagesweise rationiert von Movistar an die Händler verteilt, weil sich der Preis täglich verändert (sprich erhöht). Ich bekomme eine kleine Ahnung, was die Menschen hier durchmachen mit dieser beschissenen Inflation! So geht uns das mit weiteren drei Kiosken, bis endlich der fünfte Kiosk über genau die 3.000 Pesos Guthaben – das sind gerademal gut 8 Euro – verfügt, die wir zum Aufladen von zwei Mobiltelefonen mit je 5GB für 30 Tage brauchen – irre!
Das ganze hat ca. zwei Stunden beansprucht und betrifft uns Touristen ja nur in einer kaum essenziellen Sache. Was es für die Argentinier aber im täglichen Kampf durch das kaum noch bezahlbare Leben bedeutet, können wir uns wahrscheinlich gar nicht vorstellen! Zurück im Hotel, verwundert es dann auch nicht, dass es im Fernseher, der dort permanent läuft, kein anderes Thema gibt, als die grassierende Inflation! Wir verbringen eine ungemütliche Nacht im Antares, in dem erst die Klospülung, dann die Gardinenstange und schließlich noch die Scharniere der Tür ihren Geist aufgeben, aber Miguel reißt das alles mit seinem Charme wieder heraus!
Am Mittwoch wachen wir unter starkem Regengeprassel auf. Die Tropfen fallen nicht, NEIN, sie fliegen durch die Luft. Etwas lust- und auch mutlos packen wir uns in die Regenklamotten und machen uns dennoch auf den Weg, denn hier wollen wir nicht noch eine Nacht verbringen. Der Wind steht aber wieder günstig, sprich er trifft uns im Rücken bis wir nach 110 km in Tolhiun einen Tankstopp einlegen. Meine Finger sind bei 3 Grad mittlerweile in den durchnässten Sommerhandschuhen komplett eingeforen, da hilft auch nicht die Freude über die niedrigen Spritpreise, die bei 35 Cent pro Liter 95 Octan-Benzin liegen! Ein heißer Cacao aber schon! Mit wasserdichten Handschuhen, die mir Steve leiht, überstehe ich die zweite Hälfte der Tagesetappe dagegen sehr gut, und kurz vor Ushuaia lässt sich dann sogar die Sonne etwas blicken. Das erlaubt uns, bei Einfahrt nach Ushuaia doch noch das unvermeidbare Photo an den Türmen des Stadttores der südlichsten Stadt dieser Erde zu schießen. Wir haben es geschafft! Alaska – Feuerland ist nunmehr Geschichte! Wie fühlt es sich an? NORMAAAL!!!

Ushuaia ist auf den ersten Blick etwas enttäuschend hässlich, aber von den Türmen sind es noch 4 Kilometer bis ins Zentrum, dass sich oberhalb des Hafens auftut, und dort ist es schon viel schöner. Wir finden am oberen Rand des Zentrums mit dem Hotel „Rosa de los Vientos“ ein sehr nettes, kleines Hotel mit einem schönen Zimmer, dessen Fenster ebenerdig nur einen halben Meter von meinem Moped entfernt ist. So ist’s recht: Der Trapper schläft eben gerne neben seinem Pferd!
Mehr über Ushuaia gibt’s erst im nächsten Beitrag zu lesen!
Hallo Wolfram, herzliche Grüße aus Tolhuin und ein gesegnetes neues Jahr von Kerstin und Frank, den 2 sächsischen Radlern. Du hast Ushuaia sicher schon wieder verlassen, wir sind noch auf dem Weg… Bis zu unserem Flug Mitte Januar ist es noch lange und so haben wir unser Tempo etwas reduziert.
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Vielen Dank, liebe Kerstin und Frank! Habe leider keinen e-Mail Kontakt zum Antworten!
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