Orte an denen man sich so wohl fühlt, wie wir uns in der Casa Rio Vivo in Valdivia, die verlässt man nicht gerne. Und so verabschieden wir uns am Montagmorgen (19.12.) nur schweren Herzens von unseren Gastgebern Verónica und Guillermo. Man öffnet uns das automatische Schiebetor und die Mopeds rollen vom Hof. Kurz nachdem ich das Tor passiert habe, höre ich hinter mir ein ungutes Geräusch und finde gleich darauf die Erklärung dafür im Rückspiegel, in dem ich Steve auf dem Rücken neben seiner Maschine in der Toreinfahrt liegen sehe – das sieht nicht gut aus, ist aber wohl nur halb so schlimm! Aus unerfindlichen Gründen hat sich das Tor selbstständig in Bewegung gesetzt und die Ausfahrt für Steve so verengt, dass er mit seiner linken Packtasche das Tor gerammt hat.
Sofort sind Veronica und Guillaume zur Stelle, denen das ganze sichtbar unangenehm ist. Steve hat sich nicht verletzt – das ist schon mal gut – aber seine Moscotasche ist durch den Aufprall halb aus der Halterung gerissen worden und klemmt nun in dieser Position derart fest, dass wir sie nicht mehr lösen können. Wir probieren uns fast eine halbe Stunde mit allen Ideen an der Lösung des Problems aus, ohne dass die Tasche die geringste Nachgiebigkeit zeigt. Am Ende ist’s die altbewährte Hämmerchenmethode, die den Erfolg zeitigt. Wir ziehen mit aller Kraft an dem Entriegelungshebel während wir diesen gleichzeitig beständig mit einem Hämmerchen bearbeiten – das überzeugt nach einer Weile auch die störrischste Mechanik! Wir verabschieden uns ein zweites mal von Veronica und Guillaume und fahren dann auf guten Straßen mit schönen Vulkankegeln zur linken nach Puerto Montt.

Dort kommen wir gerade früh genug an, um noch das Fährbüro von Navimag aufzusuchen und sämtliche Details zur morgigen Einschiffung zu erfragen. Wir treffen auf Rodrigo, mit dem ich vor zwei Wochen schon so oft telefoniert habe, um die Probleme bei der Bezahlung der Fähre zu lösen. Er erinnert sich meiner sofort, begrüßt mich mit Namen und ist live nochmal netter als schon damals am Telefon. Wir erfahren, dass nur 49 Passagiere auf der Esperanza reisen werden. Daher erhalten wir gratis ein Upgrade in eine Außenkabine, die uns zu teuer war – Cool!
Als nächstes suchen wir uns in der sympathisch kleinen Stadt ein Hotel und finden dies etwas erhaben am nördlichen Rand mit Blick zum Meer hinab. Während Steve sich etwas ausruht, versuche ich meine zwei dringendsten ToDo’s zu erledigen: Erstens brauche ich einen neuen Vorderreifen und zweitens hoffe ich einen Ersatz für meine verlorene Brille zu finden. Meine Hoffnung beschränkt sich dabei auf eine Standardbrille mit einer Dioptrie, so wie die Lesebrillen, die man bei uns in der Drogerie für 3€ kaufen kann. An eine speziell für mich angefertigte Brille mit genauer Dioptrie und Astigmatismus habe ich keinen Moment geglaubt. Aber genau das finde ich bei einem der unzähligen Optiker in Puerto Montt, der über eine eigene Werkstatt verfügt! Nach Vermessung meiner Augen braucht er ganze 30 Minuten, und ich halte eine perfekte, gar nicht mal hässliche, Brille in den Händen. Dafür zahle ich gerade mal 100€ – Super! Ich kann mein Glück kaum fassen!

Der Tausch des Vorderreifens gestaltet sich demgegenüber viel schwieriger. Erst der fünfte Händler kann mit einem Reifen passend für die KTM aufwarten. Es ist ein Shinko – eine Marke, die ich nicht kenne – aber das Profil entspricht dem Continental TKC 80. Das scheint OK zu sein. Man montiert mir schnell den Reifen, hält das Auswuchten aber anscheinend für überflüssig. Um fünf Uhr nachmittags habe ich dann meine ToDo’s erledigt, und der Reifen läuft in der Tat auch ohne Wuchten schön rund!

Ich treffe Steve an der Plaza von Puerto Montt in einem Restaurant, wo wir zu Abend essen. Anschließend erkunden wir die Stadt, was relativ schnell erledigt ist. In Vorfreude auf den großen Tag morgen, begeben wir uns ins Hotel zurück, wo das ebenfalls automatisch betriebene Tor schön brav in seiner Position bleibt, als ich hineinfahre!



Am Dienstagmorgen bleibt uns viel Zeit für ein ausgiebiges Frühstück, bevor wir um 11 Uhr zum Check-in für die Fähre müssen. Der ganze Prozess des Eincheckens erscheint recht komplex. Zuerst fahren wir etwa 8 km aus der Stadt heraus zu einem Hotel, in dem das Check-in erfolgt. Dort erhalten wir die Boardingpässe und geben unser Gepäck ab, das für uns aufs Schiff bis zur Kabine gebracht wird. Vor dem Hotel stehen drei große BMW GS1250 aus Frankreich. Nicolas, Patrice und Raymond sind von Alaska nach Ushuaia unterwegs und haben sich hier mit den Partnerinnen, bzw. Patrice auch mit der Tochter getroffen. Gemeinsam reisen sie mit dem Schiff nach Puerto Natales und treffen sich dann wieder in Ushuaia, wohin die einen fahren, die anderen fliegen.


Vom Check-in geht’s drei Kilometer weiter zum „Frachtterminal“ zur Abgabe der Mopeds, wie uns Rodrigo sagte. Tatsächlich erfolgt hier die papiertechnische Verschiffung der Mopeds, aber wir werden die Bikes am Ende doch selbst aufs Schiff fahren, wie es sich gehört! Als wir – nunmehr zu fünft – zu den paar Containern kommen, die sich großspurig „Frachtterminal“ nennen, stehen da zwei KTM wie meine, und eine Yamaha XT700 Ténéré, die offensichtlich gerade aus Puerto Natales zurück verschifft wurden. Kurze Zeit später taucht in einem Pick-up mit Anhänger Daniel auf, um diese Mopeds abzuholen. Daniel ist Amerikaner, der hier in Chile lebt und ein Motorradreiseunternehmen betreibt. In einer sehr interessanten Unterhaltung erfahren wir von Daniel eine Menge nützlicher Details über die weitere Reise nach Feuerland und zurück über die Carretera Austral. Nachdem wir zwei Stunden bei Wind und Wetter hier ausgeharrt haben, dürfen wir um kurz vor zwei endlich unsere Motorräder aufs Schiff fahren, das nur 500m weiter am Kai festgemacht liegt. Es ist ein relativ kleines Schiff von 150m Länge und 23m Breite.

Die Mopeds kommen auf das oberste Frachtdeck, das über viele Öffnungen nach draußen verfügt. Hoffentlich sprüht der Salznebel nicht so sehr hier hinein! Nicht nur die Kabinen, sondern auch der Frachtraum scheinen beide nicht annähernd ausgebucht zu sein. Großzügig parken wir die fünf Mopeds nebeneinander und staunen nicht schlecht, mit welchem Aufwand diese anschließend von den Schiffsleuten verzurrt werden. Man scheint wirklich mit ordentlichem Seegang zu rechnen!

Vom Frachtdeck werden wir sofort in die Kantine geleitet, wo schon das Mittagsessen auf uns wartet – nicht Haute Cuisine, aber wirklich lecker und reichlich! Dann erst werden wir zu den Kabinen gebracht, vor deren Tür bereits unser Gepäck wartet. Die Kabine bietet gleich die nächste Überraschung, denn sie ist ausgesprochen groß mit sehr bequemen und breiten Betten. Dazu ein sehr modernes und sauberes Bad mit schöner Dusche. Hier lässt es sich mühelos drei Tage und Nächte aushalten! Die anschließende Schiffserkundung verschafft sehr schnell einen guten Überblick und leichte Orientierung auf diesem sehr übersichtlichen Dampfer. Für uns Passagiere gibt es eigentlich nur zwei Decks, die sich auch nur über etwa 40 m Länge erstrecken. Auf dem Deck 5 ist die Kantine, und auf dem Deck 6 befinden sich die Kabinen, sowie die sehr gemütliche Cafeteria, wo wir uns die kommenden Tage am meisten aufhalten werden. Darüber hinaus gibt es auf allen Decks reichlich Außenfläche, um die Landschaft zu genießen und sich den Wind um die Nase wehen zu lassen. Alle Mahlzeiten und Getränke sind im Fährpreis enthalten, wobei es eine strikte No-Alcohol-Policy an Board gibt. Damit kann ich gut leben 😊!
An Board freunden wir uns noch mit manch anderen Passagieren an. Da ist Becky (53) aus Amerika, die ihr Haus aufgegeben hat, um die nächsten Jahre durch die Welt zu reisen, Chris (38) aus Berlin, der ein wahrer Naturbursche ist und viele Outdoorreisen unternimmt, auch schon mal für ein Jahr, wenn sein Chef ihm ein Sabatical gönnt. Außerdem Val (26) aus Basel und Maegan (27), eine Baumpflanzerin aus Britisch Columbia in Kanada, die saisonbedingt jedes Jahr 5 Monate auf Reisen geht, Steve aus New York, ein witziger Literaturprofessor, der schon an vielen Orten dieser Erde gelebt hat, darunter auch ein Jahr in Berlin und schließlich Francisco, ein Geologe aus Santiago, der in einer Kupfermine die Ertragsaussicht neuer Abbaugebiete untersucht – allesamt sehr interessante und sympathische Leute! Mit allen verbringen wir drei wunderschöne Tage an Board der Esperanza.

Der erste Tag führt uns durch die Fjorde des nördlichen Patagoniens. Die Landschaft erinnert hier sehr an Norddeutschland oder Südskandinavien: Flache Hügel, flächiger Bewuchs mit Sträuchern und Bäumen, nur sehr wenig Zivilisation entlang der Ufer und vier Jahreszeiten am Tag. Es ist sehr verhangen und immer wieder geht ein kurzer Schauer runter, aber man wird kaum nass. Das Wasser ist ruhig, und die Route führt des öfteren durch sehr enge Passagen in den Fjorden. Das offene Meer ist am ersten Tag nicht zu sehen.




Das geschieht am zweiten Tag, der uns aus den Fjorden hinaus in den pazifischen Ozean führt. Und damit kommen auch der Wind und die Wellen. Dreieinhalb Meter messen diese und versetzen den Kahn ganz schön in Wallung! Die Reederei ist so aufmerksam, eine halbe Stunde zuvor die Pillen gegen Seekrankheit zu verteilen, und so sehe ich niemanden an der Reling stehen und die Fische füttern – wir dürfen eh nicht mehr raus! Alle scheinen das Geschaukel gut zu überstehen. Den größten Teil der Schaukelei erleben wir in der Nacht in unseren Kojen, aber auch dort geht es uns gut! Das Wetter ist noch immer arg durchwachsen, und es wird spürbar kühler!

Heute tauchen auch die ersten schneebedeckten Gipfel im Hintergrund der Ufer auf. Am Nachmittag ankern wir vor Puerto Eden, einem 85-Seelen-Ort in der Mitte der Wildnis. Hier führt keine Straße, ja nicht einmal ein Weg hin. Die Menschen im Ort werden ausschließlich über die Esperanza zweimal pro Woche versorgt. Schon während des Ankermanövers kommen aus allen möglichen Ecken des Dorfes kleine Kähne und Fischerboote auf unser Schiff zu und machen an der heruntergelassenen Heckklappe fest. Jeder sammelt hier seine Bestellungen aus dem Frachtraum und trägt sie auf den Schultern auf sein Boot. Es ist ein lustiges Gewimmel am Heck der Esperanza, und wir Passagiere beobachten das Ganze von oben wie Waldorf & Statler von der Muppets Show!




Etwas später bieten uns drei Seelöwenfamilien eine besondere Vorstellung, als sie direkt vor dem Schiff den Fjord durchqueren und dabei delphinartig durchs Wasser „hüpfen“ – ein tolles Spektakel!

Beim Erwachen am dritten Tag befinden wir uns wieder im geschützten Fahrwasser der Fjorde, und die Sonne lacht aus einem blau-weißen Himmel mit vielen Haufenwolken. Das Schiff liegt wieder ruhig im Wasser, doch der Wind bläst – wenn auch sehr unstetig – so aber in den Böen extrem stark! Der Schnee auf den Bergen wird mehr, zum Teil zeigen sich uns auch beeindruckende Gletscher. Manche neigen sich ziemlich nah zum Meeresspiegel runter – eine spektakulär schöne Natur, die so gänzlich unberührt erscheint! Man wird ganz klein in Angesicht solch gewaltiger Natur!











Am Nachmittag verlassen wir dann über eine sehr enge Passage den letzten Fjord, ehe sich die Bucht von Puerto Natales vor uns eröffnet. Es weht mächtig, und die Esperanza muss für vier Stunden vor Anker liegen, da der Hafen wegen Sturms kurzfristig geschlossen wurde, ehe wir schließlich um 8 Uhr abends anlegen dürfen. Wir befreien unsere Mopeds und müssen leider sehen, dass diese ganz schön übel dem Meersalz ausgesetzt waren. Mit einem kräftigen Ruck lösen sich die angerosteten Bremsscheiben aus den Belägen, und wir rollen von der Fähre. Jetzt folgt noch ein langatmiger Zollprozess, denn wir befinden uns in einer Freihandelszone innerhalb Chiles. Papier um Papier, Stempel um Stempel müssen zunächst eingesammelt und dann abgegeben werden, ehe wir die paar hundert Meter in die Stadt fahren dürfen. Leider reiße ich mir dabei die Aufhängung einer meiner beiden Packtaschen ab – Bastelaufgabe für morgen!




Vor uns öffnet sich eine sympathischer, kleiner und recht bunter Ort, in der das Leben aufgrund eines sehr angenehmen Tourismus tobt. An jeder Ecke finden sich Restaurants und Hostels, die einfach, aber sehr liebevoll gestaltet sind. Die Touristen sind fast ausschließlich Backpacker aus Europa, Amerika und Südamerika. Wir finden ziemlich schnell ein nettes Hostal, das im Innenhof über einen Garten verfügt, in dem wir eine kleine Hütte bekommen, neben der wir auch gleich parken können. Hier werden Steve und ich ganz gemütlich Weihnachten „feiern“!
Den Abend verbringen wir mit unseren Freunden von der Fähre in der Destillery mit dem schönen Namen „Laste Hope“ und haben nach den drei Tagen auf See viel Spaß miteinander (siehe Photo oben).
Heute ist Heilig Abend, doch es fühlt sich kein Stück so an! Der Himmel schaltet auf Sonnenschein und auf Starkwind, ein Tag wie gemacht zum Photographieren! So laufen wir eine große Runde um und durch Puerto Natales.




Anschließend widme ich mich der Reparatur meiner Tasche, tausche Pesos in Dollars für die bevorstehenden Tage in Argentinien – denn dort gibt es nur gegen Dollars einen akzeptablen Tauschkurs – und schalte mich per Facetime mit meiner Familie zusammen, die gerade in Potsdam bei Sabrina und Robin Weihnachten feiern. Da wird mir doch etwas wehmütig zumute!
Morgen gibt es einen Tagesausflug in den Nationalparl Torres de Paine, und am Abend sind wir wieder hier im Hostal, ehe es dann am zweiten Weihnachtstag in Richtung Ushuaia geht, wo wir wohl am 28.12. ankommen werden.
Ich wünsche Euch allen auf diesem Wege friedliche Weihnachten!
Weihnachtsgüße von Rosi aus Dalhausen.
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