Soviel Land für so wenige Menschen, und dennoch schaffen es diese wenigen, das Land großflächig zu zerstören! Nachdem wir uns am Mittwochmorgen knapp 40 Kilometer auf La Paz zubewegt haben, entscheiden wir uns dafür, einen Bogen um diese Stadt zu machen. Dazu schneiden wir die asphaltierten Hauptstraßen ab und nehmen die Piste über Viacha, die uns etwas südlich von La Paz wieder auf die Hauptstraße in den Süden bringt. Es fährt sich ganz passabel auf dem Treck, nur die vielen LKW – allesamt alte Volvo-Kipper mit zum Teil noch den alten schwedischen Kennzeichen neben den bolivianischen – stauben uns mächtig ein. Später werden wir sehen, woher die alle kommen.
In Viacha ist bei unserer Ankunft Markt. Alles was Beine hat ist heute auf denselben unterwegs, was das Durchfahren schwierig und langwierig gestaltet. Dafür bietet die Marktkulisse interessante Figuren als Linsenfutter.


Die Weiterfahrt führt durch vollständig aufgewühlte Wüstenlandschaft; nichts ist schön in dieser Gegend! Was immer man hier abgebaut hat, es kann diese Zerstörung nicht rechtfertigen. Die Kette der LKW wird unterdessen immer dichter. Etwas später kommen wir durch eine traurig-staubige Minenstadt, in der man nicht tot über dem Zaun hängen mag! Wahnsinn, was sich der Mensch so antut! Direkt am Ausgang der Stadt liegt ein gigantisches Zementwerk, und genau daher kommt die LKW-Karawane. Es stauen sich vor dem Werktor geschätzt mehr als 100 von diesen Schwedenimporten!
Mit staubgefüllter Lunge fliehen wir von diesem garstigen Ort und staunen nicht schlecht, als drei Kilometer später, wie aus dem Nichts, eine perfekte Asphaltstraße unter unseren Rädern liegt. Die Freude währt ganze 10 Kilometer, doch fragt man sich, welch politischer Akt hinter diesem sinnlosen Projekt lag. Wir rattern noch weitere 20 Kilometer auf einer üblen Welblechpiste, fressen dabei den Staub einiger Lastwagen, die wir überholen, und freuen uns anschließend über die Ruta 1, die uns doppelspurig auf 1a-Asphalt nach Oruro, der fünftgrößten Stadt Boliviens, bringt.
Hier ist außer einer Trinkpause an einem Kiosk am Straßenrand nichts los, und so erfreue ich mich der Musik aus Guido’s Playlist, die er mir kürzlich geschickt hat. Sie hat den schönen Namen „Ride Free“! Genau das mache ich; und zwar exakt solange, bis uns ein rotbeflaggter Verkehrspolizist zum Anhalten nötigt. Wir seien zu schnell gefahren. Man zückt ein kleines Buch, das wohl den Bußgeldkatalog darstellen soll, und weist darin auf eine Zeile hin, die für 20 km/h Überschreitung 200.- Bolivares vorschlägt; das sind zwar relativ bescheidene 25.-€, aber die Sache ist die, dass ich fast im Moment, als die rote Flagge geschwenkt wurde, auf den Tacho geschaut habe und dort 74 km/h abgelesen habe. Auch Steve bestätigt, dass wir weniger als 80 gefahren sind. Trotzdem besteht der Sheriff darauf, dass wir 100 km/h bei erlaubten 80 km/h gefahren seien und winkt den Kollegen mit der Radarpistole herbei, der uns ein Handyphoto des Displays der Radarpistole zeigt, auf der glatt 100 km/h und eine Urzeit, die schon zu lang zurückliegt, stehen. „Was soll das beweisen?“, frage ich ihn. Dann lenkt er ein und bietet eine Halbierung der Strafe an. In welcher Tasche diese am Ende landen wird, ist mir eh klar! In solchen Situationen wird ja mein Ehrgeiz geweckt! Keinen Milimeter gebe ich nach und beharre darauf, nicht zu schnell gewesen zu sein. Ein reines Zeitspiel, das nach 20 Minuten des Wartens und Haderns für uns entschieden wird. Entnervt gibt man mir den Führerschein zurück und lässt uns weiterfahren, nicht ohne uns alles Gute zu wünschen – verlieren können sie ja!

Nach Oruro müssen wir hineinfahren, weil es in Bolivien nur in den Großstädten Geldautomaten gibt, und an der Grenze konnten wir nur kleines Geld tauschen. Außer einem fürchterlichen Verkehr hat Oruro aber nichts zu bieten. Selbst die Suche nach einem Mittagessen hätten wir beinahe erfolglos aufgegeben, wäre nicht in letzter Minute doch noch ein Chicken-Imbiss aufgetaucht. Eine der rar gesähten Tankstellen finden wir auch noch bei der Ausfahrt aus der Stadt. Auswahl gibt es keine; man hat nur eine Sorte Benzin! Welche Qualität diese hat, kann man mir nicht verraten – au Weia! Mit ungutem Gefühl schütte ich das Zeugs in den Tank und hoffe, dass sich das nicht rächen wird. Vor dem Tanken werden wir freundlicherweise noch drauf aufmerksam gemacht, dass die 3,74 Bol je Liter, die an der Zapfsäule stehen, nur für Einheimische gelten. Als „Extranjero“ sind 9,41 Bol zu berappen. Das ist in Ordnung, denn warum soll der bolivianische Steuerzahler uns Touristen den Sprit subventionieren?
Zum Glück erweist sich der Sprit als verträglich für unsere Mopeds, ja der Spritverbrauch sinkt sogar auf ungeahnte Werte unter 3 Liter/100 km. In der Abendsonne wird die Landschaft zunehmend schöner. Die Berge rücken wieder näher an die Straße, und aus der Wüste wird eine gold-gelbe Steppe. Die düsteren Gewitterwolken im Mix mit blauem Himmel zeichnen zudem ein tolles Lichter- und Farbenspiel auf den Bergen.

So erreichen wir etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang das Örtchen Challapata, einer der wenigen Orte, die nicht direkt an der Hauptstraße, sondern etwas abseits liegen. Deswegen haben wir ihn zum Übernachten ausgewählt. Denn dann gibt es auch, anders als in den trostlosen Straßendörfern, einen zentralen Platz, an dem man flanieren und zu Abend essen kann. Am meisten Spaß aber bereitet das Beobachten der vielen interessanten Gestalten und Gesichter, die es dort zuhauf gibt! Die Unterkünfte werden hier in Bolivien immer spatanischer, aber das spielt für uns keine Rolle. Es schläft sich auch im einfachsten Zimmer gut, solange die Bettwäsche OK ist!



Der Donnerstag weckt uns erstmals seit sehr langer Zeit mit strahlend blauem Himmel. Fast kein Wölkchen ist auszumachen. Das ist eine besondere Freude, bei solch einem Wetter durch diese atemberaubende Bergwelt zu fahren. Die Berggipfel sind jetzt zunehmend mit einer Schneehaube bedeckt. Am Wegesrand tauchen des öfteren verlassene Lehmhüttensiedlungen auf, die sich mit ihren Strohdächern sehr idyllisch in die Landschaft fügen. Auch Wildlife ist jetzt zu beobachten. Ich bin mir nicht ganz sicher, doch die den Lamas und Alpacas ähnelnden Tiere, die wir mehr und mehr zu sehen bekommen sind wohl Vicuñas – Artverwandte. Aber Guido mag mich da möglicherweise korrigieren!
Nach einer Stunde Fahrt erblicke ich am Horizont zwei schwer beladene Radfahrer und erkenne beim Näherkommen an einem der Räder die kolumbianische Flagge. Wir begrüßen Stiven und Santiago aus Medillin. Sie sind bereits seit einem Jahr unterwegs und wollen irgendwann auch in Ushuaia ankommen – es ist ein anderer Zeitmaßstab als mit mit dem Motorrad! Schon gestern haben wir mit Tine und Jan zwei Radfahrer aus Belgien getroffen, die erst von Belgien über die Türkei in den Iran und weiter bis nach Kasachstan gereist sind und dort einen Flieger nach Lima genommen haben, um ihr Sabatical in der Winterzeit (im April) auf der Südhalbkugel zu beenden – irgendwie ein cooler Plan!



Je mehr wir uns dem Salar de Uyuni – dem mit 10.000 qkm größten Salzsee der Erde – nähern, desto mehr fällt auf, wie die Oberfläche der Berge in den Farben wechselt. Mal ist es ein tiefes Rostrot, was auf Eisen schließen lässt, dann wieder ein blasses Grün, das auf Kupfer deutet. Kein Zweifel: Dieses Land ist reich an Bodenschätzen, und diese werden erbarmungslos ausgebeutet. Deswegen begleitet uns auch schon die ganze Zeit ein einsames Bahngleis, dass nur sehr selten von einem Zug befahren wird. Wir werden Zeuge eines dieser wenigen Transporte von Lithium. Die Transportbehälter sind wohl so schwer, dass nur jeweils einer direkt über dem Drehgestell eines Wagons transportiert wird. Das ganze bewegt sich im Schneckentempo von geschätzten 20-30 km/h. Im Norden von Chile und im Süden Boliviens werden die größten Lithiumvorkommen unserer Erde vermutet, und der Batteriehunger unserer Gesellschaft macht dieses Halbmetall zu einem kostbaren Gut, das insbesondere dem armen Bolivien jüngst zu ungeahntem Reichtum verhilft!


Kurz vor der Mittagszeit taucht vor uns – einer Fatamorgana gleich – ganz verschwommen ein weißer Streifen auf. Das ist der Salar de Uyuni. Ein gigantischer Anblick! Auf diesen wollen wir hinauf, und zwar etwa 75 km weit bis zur „Isla de Inkahuasi“.

Von Colchani aus gibt es eine Zufahrt auf den Salzsee, der sich nur an wenigen Stellen betreten lässt. Colchani, selbst an der Hauptstraße nach Uyuni gelegen, erweist sich als gottverlassenes Kaff mit einem verlassenen Bahnhof und wenigen Hütten, in denen meist geschlossene Geschäfte für die Salar-Touristen untergebracht sind. In einer der Hütten bekommen wir wenigstens noch vor unserem Ausritt auf den See ein köstliche Mittagsessen und einen Wasservorrat, denn wir wollen möglicherweise an der Isla de Inkahuasi im Zelt übernachten, wenn es die Begebenheiten zulassen. Die Köchin ist sehr um unser leibliches Wohl bemüht und ihre Enkelin schaut uns – die Männer im komischen Outfit – aus großen Augen interessiert aber verständnislos an!



So gestärkt und ausgerüstet begeben wir uns über eine 5 km lange salzig-lehmige Piste auf den Salar, der beim Einstieg ein wenig matschig ist, dann aber eine perfekt ebene Fahrbahn bietet, auf der es sich spielerisch mit 80-90 km/h fahren lässt. Viele Wege führen nicht nur nach Rom, sondern auch über den Salar zur Isla de Inkahuasi. Egal welchen Spuren man auch folgt, am Ende vereinigen sich alle wieder vor dieser einzigartigen Insel. Unterwegs treffen wir nach 10 km auf das Dakar Monument, eine riesige aus Salz bestehende Touareg-Statue, die 2016 anlässliche der Rally Parias-Dakar, die in dem Jahr in Bolivien ausgetragen wurde, errichtet wurde.

Ab dem Dakar Monument sind wir dann, abgesehen von den Spuren, ohne Orientierungshilfe auf dieser unglaublich großen, ja schier unendlichen, weißen Fläche unterwegs. Da bieten sich ein paar witzige Photos mit optischer Täuschung an. Interessant, wie auch hier die Physik wieder zuschlägt. Ähnlich wie eine ausgetrocknete Lehmfläche, oder wie die einzelnen Schaumbläschen in der Badewanne, oder dem Spülbecken, bricht auch die Salzfläche in nahezu perfekten Hexagons auf. Allerdings sind diese deutlich größer als bei einer aufgebrochenen Lehmfläche – etwa 80 cm im Durchmesser! Außerdem sind die Linien keine Risse, sondern Aufwerfungen von Salz.



An dieser Stelle muss ich mich für die Rosafärbung der Bilder entschuldigen. Irgendwie habe ich unbemerkt die Weißabgleich- Einstellung an der Kamera verstellt, wodurch alles Weiß in ein Rosa getaucht wird. Mit der Sonnenbrille ist es mir leider nicht aufgefallen. Das kann ich später wieder korrigieren, sagt mein Freund Dirk, aber jetzt und hier gerade nicht!
Nach etwa 50 Minuten Fahrt, wie in Trance, über diese weiße Fläche wird der Boden zunehmend nass. Das Salz spritzt in Form von Salznebel überall hin und kleistert das ganze Moped mit einer fetten Salzkruste zu. Sieht schön aus, tut aber sicherlich nicht gut. Wie aus dem Schleier taucht vor uns die angesteuerte Insel auf, da überholt uns plötzlich mit weit über 100 Sachen ein blauer Land Rover aus Emmendingen im Schwarzwald – na der Fahrer hat offensichtlich Spaß!


Die Besatzung des schwarzwälder Land Rovers stellt sich uns kurze Zeit später an der Isla de Inkahuasi als Viktoria und Björn vor, die über Montevideo und Brasilien nach Bolivien gekommen sind und für ein Jahr in Südamerika reisen. Wir haben über eine Stunde lang eine tolle Unterhaltung und müssen dann für uns entscheiden, was wir in Sachen Übernachtung machen wollen. Hier unser Zelt aufschlagen, oder in Uyuni im Hostal übernachten, das wir übrigens bereits über Booking gebucht haben, weil es der bolivianische Zoll für Steves Visum so gefordert hatte.

Drei Gründe lassen uns für Uyuni entscheiden. Erstens zeichnen sich am Horizont gen Colchani düstere Gewitterwolken ab, zweitens ist der Salzboden hier überall nass, was als Zeltuntergrund wenig angenehm erscheint, und Heringe lassen sich wohl auch kaum in den Boden bringen. Ja und drittens sind da unsere Mopeds, denen wir die Salzkruste nicht allzu lang zumuten wollen. Als viertes könnte ich noch mein ungutes Gefühl mit meiner Bordelektrik anfügen. Nach wie vor muss ich jeden Morgen die Kati mit dem Booster starten! Also beehren wir noch die Insel mit einem Rundgang durch diese einmalige Kakteenlandschaft und machen uns dann in der verbleibenden Sonne wieder gen Colchani auf die Räder.
Der Gang über die Insel lässt uns ganz ehrfürchtig auf diese großartigen Gewächse blicken. Kaum vortellbar, dass diese schon da waren als der Kölner Dom gebaut wurde, als in Europa die Pest wütete, oder Christoph Columbus über Amerika stolperte. Wie bei uns Menschen, sind die schöneren Gewächse, nämlich die mit den Verzweigungen, die weiblichen Exemplare, während die männlichen – eben phallusartig 🙂 – nur einfach gerade nach oben gewachsen sind. Es ist nicht erklärlich, wie die Kakteen hierher gekommen sind, jedenfalls ist Inkahuasi die einzige Insel mit diesem Bewuchs. Es gibt noch einige andere Inseln, diese sind aber frei von Vegetation!


Auf dem Rückweg folgen wir einer anderen Spur in der Hoffnung, eine trockenere Strecke zu finden, doch das Gegenteil ist der Fall. Über weite Teile fahren wir über nasses Salz, wobei es erstaunlich ist, wieviel Halt diese nasse Oberfläche bietet. Keinerlei Geschmiere, wie auf nassem Lehmboden, der uns morgen noch viel „Freude“ bereiten wird! Kurz vor Colchani, in etwa auf der Höhe des Dakar Monuments wird es dann so dunkel und stürmisch, dass wir uns schon auf das schlimmste einstellen. In krasser Schräglage fahren wir geradeaus, und ich bin froh, dass der Salzuntergrund so griffig ist! Ein paar Tropfen bekommen wir auch ab, lassen uns davon aber nicht einschüchtern und fahren einfach weiter. Bei dem Sturm wäre das Anziehen der Regenklamotten eh ein lustiges Unterfangen geworden. Der Mut wird belohnt: Wir erreichen Colchani ziemlich trocken und bestaunen das Salzkleid unserer Mopeds.


Eine viertel Stunde später passieren wir vor der Stadtgrenze von Uyuni bereits den ersten von zahlreichen Waschplätzen. Die Entsalzung von Fahrzeugen ist in und rund um Uyuni ein großes Geschäft! In einem Reisebericht habe ich gelesen, dass die Waschplätze außerhalb denen in der Stadt vorzuziehen seien, weil dort gründlicher gearbeitet werde. So nehmen wir gleich den ersten und sind begeistert von der Akrebie, mit der ein junger Mann zuerst mit einem starken Wasserstrahl und anschließend mit einem Dampfstrahler jeden Winkel der Mopeds auf das gründlichste reinigt. Eine Stunde braucht er für beide Bikes, danach sind jeweils umgerechnet 2 € pro Moped fällig. Leider hält die Säuberung nicht lange, denn Uyuni steht nach einem Gewitterschauer komplett unter Wasser, was bei größtenteils nicht gepflasterten Straßen eine reine Schlammschlacht bedeutet. Unser gebuchtes Hostal ist durch einen großen Markt heute nicht erreichbar, sodass wir auf ein anderes ausweichen, das nicht großartig aber billig ist. Wir schlendern noch über den Markt, erstehen beide kleine Geldbeutel aus Leder und landen anschließend in einer unerwartet tollen Pizzeria.
Am morgigen Freitag wird es auf zweifelhaften „Straßen“ zur Grenze nach Chile gehen. Es gelingt uns trotz vielfachen Fragens nicht herauszufinden, welche der beiden alternativen Routen die bessere sei, oder welche Straßenzustände uns überhaupt erwarten. Es bleibt also spannend!