Manchmal fügen sich die Dinge so, wie sie scheinbar sein sollen und nicht so, wie man sie geplant hat. So auch unser Abschied von Kalle in Ollantaytambo. Mit einem gerüttelten Maß an Wehmut heißt es am Sonntagmorgen Abschied nehmen von Kalle und seiner Frau Gladis. Die zwei Tage und drei Nächte ihrer Gastfreundschaft haben wir sehr genossen und uns dabei auch gut von den Strapazen am Machu Picchu erholt. Es ist Kalle deutlich anzumerken, dass er am liebsten auf sein Moped steigen und mit uns fahren würde. Wir posieren noch für ein paar Abschiedsphotos, dann heißt’s Hauben auf und Motor starten. Die KTM beantwortet das Drehen des Zündschlüssels indes nur mit einem Ticken. Also scheint sich das Batterieproblem doch zu manifestieren.

Hauben wieder runter, Tankrucksack und Packtasche ebenso und die Sitzbank abgenommen, dann liegt die Batterie frei und Kalle leistet Starthilfe mit seinem Auto. Mit einem etwas mulmigen Gefühl machen wir uns auf die Reise. Schon vor Urubamba, dem nächsten Ort, wird mein Blick von merkwürdigen Tropfenspuren am unteren linken Tankende gefangen. Insuffiziente Batterie, undichter Kühler? Das klingt alles nicht gut! In Urubamba suche ich einen Laden auf, der Mopedbatterien verkauft, finde aber keine gleiche Batterie. In solchen Situationen, wenn’s um Elektrik geht, muss immer mein Freund Christian herhalten. Doch wie erreiche ich ihn, ohne Empfang und ohne Wifi? Der Batterieladen hat kein Internet, aber in einem kleinen Krämerladen 50 Meter weiter ist der Mann am Tresen so nett, mir den Hotspot seines Handys anzubieten – kein großartiger Empfang, aber ich kann mit Christian sprechen. Der schließt aus den Symptomen (Motor startet gut nachdem es gelaufen ist, kann aber die Ladung über Nacht nicht halten), dass möglicherweise die Batterieleitung einen erhöhten Widerstand hat und rät mir erst den festen Sitz der Klemmen und der Batteriesicherungen zu überprüfen, bevor ich in meiner Verzweiflung eine nicht passende Batterie kaufe.
Kurz entschlossen rufe ich darauf Kalle an und sage ihm, dass er unsere Betten nicht neu beziehen muss. Wir kommen zurück und bleiben eine weitere Nacht, um das Moped in Ruhe und in gut gerüsteter Umgebung in Ordnung zu bringen, ehe wir uns in die bolivianische Pampa begeben. So wird es denn gemacht. Kalle freut sich über unsere Rückkehr und begleitet meine Arbeiten am Moped. Ich freue mich, als mir die Batteriesicherung gleich beim Entfernen des Deckels entgegen kommt. Da glaube ich gleich die Ursache für das Batterieproblem gefunden und eliminiert zu haben. Auch die Undichtigkeit am Kühler ist schnell identifiziert. Eine Schlauchklemme muss nachgezogen werden. Das ist alles! Der Rest des Tages ist dem Müßiggang vorbehalten. Auf dem Markt von Ollantytambo erstehe ich noch einen Alpaca-Pullover und danach verquatsche ich den Nachmittag mit Kalle, was sehr angenehm ist.
Am Montag soll es dann entgültig weitergehen. Kalle muss auch los. Für ihn steht eine Leistenbruch-OP in einem 2,5 Stunden entfernt liegenden Krankenhaus, das von freiwilligen deutschen Ärzten betrieben wird, auf dem Programm. Erwartungsvoll drehe ich den Zündschlüssel ….., aber wieder nur Tick, Tick, Tick! So’n Schiet! Moped den Berg hinauf geschoben, gedreht und mit einem Jump-Start angelassen. Ist jetzt egal, erst mal losfahren!
An Cusco vorbei führt uns die ruta 28B auf über 4.000 Meter durch eine Steppenlandschaft. Das Wetter steht die ganze Zeit auf der Kippe, aber außer ein paar Tropfen bleiben wir von Regen verschont. Wir halten die Höhe und erreichen am Nachmittag die Stadt Juliaca, die mir von unserer Reise 2013 noch als unglaublich hässlich in Erinnerung ist. Ja und dieses Urteil hält auch der neuerlichen Bewertung stand. Ich bedaure die vielen Menschen, die in diesem Ort leben müssen! Für uns sind es nur 30 Minuten, doch die sind übel genug!

Eine knappe Stunde später wird das Auge dafür mit dem ersten Blick auf den Titicacasee verwöhnt. Glatt und ruhig liegt er satt blau und eingerahmt von sanften Bergketten vor uns, davor die Stadt Puno, die aus dieser Perspektive ganz nett ausschaut. Dieses Bild soll sich bei näherer Betrachtung leider nicht bestätigen. Auch Puno ist hässlich, wenngleich nicht annähernd so schlimm wie Juliaca!

Die Suche nach einer Übernachtung gestaltet sich in Puno ziemlich schwierig, denn kein Hostal kann eine Unterbringung der Mopeds gewährleisten. Schließlich findet sich ein Hostal mit einem sehr netten und bemühten Besitzer, der die Nachbarschaft durch geht, bis er eine Dame findet, die unseren Mopeds Asyl in ihrem Hauseingang anbietet. Wir erkunden die Sadt während des Sonnenuntergangs mit mäßiger Begeisterung. Nicht einmal dem in die Stadt hineinreichenden Ufer des Titicacasees wurde eine schöne Uferpromenade gegönnt. Stattdessen ein vermüllter Geröllstreifen, in dem die Straßenköter ihr Unwesen treiben – schade! Aber auch vom hässlichsten Uferstreifen lässt sich schön auf den abendlichen See blicken, auf dem sogar zwei Fontänen in die Höhe schießen.


Ohne Abschiedsschmerz verlassen wir am Dienstagmorgen Puno schon recht früh, um die Grenze nach Bolivien bei Zeiten zu überschreiten. Die Fahrt entlang des Titicacasees bietet immer wieder schöne Blicke auf den See und auf zum Teil mit leichtem Schnee bepuderte Berge. Der See scheint sehr stark befischt zu werden, wenn man die Zahl der Reusen als Indiz nehmen will.




Am späten Vormittag stärken wir uns in Desaguadero, dem Grenzort auf peruanischer Seite, mit einem leckeren Mittagessen bevor wir uns den Grenzformalitäten aussetzen. Dabei lassen wir ein heftiges Gewitter passieren, das wir nicht auf den Mopeds hätten erleben wollen! Vom Restaurant sind es dann nur 500 Meter zur Grenze. Dort angekommen erklärt uns die freundliche Dame an der peruanischen Imigración, dass wir falsch seien, da hier an der Stadtbrücke nur Fußgänger die Grenze passieren dürfen. Der Übergang für Fahrzeuge sei außerhalb der Stadt.
Wir fahren also zur „Puente Internacional“ außerhalb der Stadt, so wie es auch mein GPS angezeigt hat, und werden dort wieder zurückgewiesen. Das sei zwar der Grenzübergang, den wir später befahren müssen, doch die Grenzformalitäten für PKW und Motorräder seien an anderer Stelle, etwa 4 km entfernt am anderen Ende der Stadt. Wow! Also wieder kehrt, und 10 Minuten später kommen wir tatsächlich am richtigen Ort an, wo wir ganz schnell die peruanische Imigración erledigen und im gleichen Raum auch die bolivianische. In nur 2 Minuten erhalte ich beide Stempel im Pass. Das hätte so schön schnell gehen können, wenn Steve nur gewußt hätte, dass er als „Gringo“ ein Visum für Bolivien braucht. Ohne Visum gibt’s für ihn keinen Einreisestempel vom bolivianischen Grenzpolizisten – das ist nicht gut!
Aber es ist nicht das Ende, denn ein Visum lässt sich auch an der Grenze erwerben, nur eben nicht hier, sondern am Grenzposten für Fußgänger in der Stadt, dort wo wir zuerst waren. Leidgeprüft wie wir sind, nehmen wir auch diese Hürde und wühlen uns ein zweites mal durch die Märkte der Stadt hindurch zwischen Fußgängern und Handkarren zur Stadtbrücke, wo wir die Mopeds auf peruanischer Seite stehen lassen und zu Fuß auf die bolivianische Seite wechseln zur dortigen Imigración. Mittlerweile hat es wieder zu Regnen begonnen – macht Spass!

Hier stellt uns der bolivianische Grenzbeamte vor die nächste Herausforderung. Für das Visum will er fünf Dokumente auf Papier von uns bekommen: Ein ausgefülltes Antragsformular, eine Passkopie, einen tagesgenauen Reiseplan durch Bolivien, mindestens eine Hotelbuchung und die Kontostände von Steves Bank! Wir sind erstmal sprachlos, wissen wir doch nicht, wie wir das alles herbeischaffen sollen. Eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieser Unterlagen scheint wenig zielführend, also machen wir uns daran, die Dokumente herbeizuschaffen und mit Screenshots auf dem Handy zu sichern. Diese schicken wir an einen Copyshop gegenüber per WhatsApp, und die Dame im Shop druckt diese dann für uns aus. Zweieinhalb Stunden braucht der ganze Prozess, doch dann wird das begehrte Visum in Steves Pass geklebt. Jetzt sind nur noch 160.-US$ dafür zu löhnen. Steve findet bei sich nur 60.-$ Meine Dollars sind am Moped auf der anderen Flußseite. Im Regen laufe ich hinüber und komme mit nassen Dollars zurück.
So jetzt aber schnell zurück zur Grenze für PKW und Motorräder. Dort angekommen, lässt endlich der Regen nach. Steve erhält in einer Minute den Einreisestempel von Bolivien – bitte, geht doch! Ausgerechnet jetzt sind zwei Mopedfahrer aus Bogota und ein Auto aus Paraguay vor uns an der Zollabfertigung. Dort muss für jedes Fahrzeug ein Dokument mit ca. 60 Datenfeldern ausgefüllt werden, was etwa 20 Minuten je Fahrzeug dauert. Nach einer Stunde ist aber auch das geschehen, und wir sind tatsächlich gut eine Stunde vor Sonnenuntergang in Bolivien! Einen halben Tag haben wir an der Grenze verbracht! Mit Visum wäre es kaum eine halbe Stunde gewesen.
Einmal mehr staune ich auf den ersten Metern im neuen Land darüber, wie sehr sich durch eine künstliche Linie auf der Landkarte innerhalb von wenigen Metern und Minuten alles mögliche verändert. Die Straßen sind anders, die Menschen sehen auf einmal ganz anders aus, urplötzlich sind die Köter am Straßenrand total agressiv und rennen einem vor die Gabel, es riecht anders, die Fahrzeuge sind auf andere Weise schrottreif und mit großen Dachlasten beladen – kurzum: Wir sind wieder in einer anderen Welt! Nur der Blick auf den Titicacasee ist noch immer derselbe – tief blau und glatt liegt er eingerahmt von sanften Bergketten in der Abendsonne vor uns, ein beruhigender Anblick!

Im letzten Tageslicht fahren wir noch 50 Kilometer bis nach Tiawanacu, einer kleinen Stadt etwas abgelegen von der Hauptstraße, die eine tolle Überraschung ist. Erscheint sie bei Einfahrt zunächst vollkommen schmuck- und trostlos, so entpuppt sie sich hinter der inneren Stadtmauer als kleines Juwel mit schicker Plaza de Armas und einer 500 Jahre alten, kolonialen Kathedrale. Wir finden eine sehr nette Unterkunft bei einer sehr freundlichen und offensichtlich gebildeten Dame in traditioneller Tracht. Diese erklärt uns mit Stolz ihre Stadt und begeistert uns mit ihrer Gastfreundschaft. Generell versprühen die Menschen, die wir in Tiawanacu auf der Straße treffen, eine besondere Herzlichkeit und bekunden Interesse an den Fremden, die offensichtlich weit gereist sind. Wir sind auf Anhieb verliebt in dieses Land!
Auch Peru hat uns sehr gut gefallen. Die Menschen sind überwiegend sehr aufgeschlossen und freundlich, solange sie nicht am Steuer ihrer Fahrzeuge sitzen. Dort nämlich verwandeln sie sich in wahre Asoziale, die sich rücksichtslos gegen Motorradfahrern und Fussgängern verhalten, diese gerne in dicke Staubwolken hüllen, dabei schneiden und kurz darauf ausbremsen – eine Pest! Landschaftlich muss man Peru klar in zwei Regionen teilen: Die Küste und die Berge! Letztere sind ein Traum, erstere ist ein Albtraum! Wir verlassen Peru am Tag bevor der Präsident wegen eines versuchten Staatsstreiches verhaftet wird und im Land der Ausnahmezustand ausgerufen wird.



Wir freuen uns auf die Weiterreise durch Bolivien, wovon der nächste Blog berichten wird!