Jetzt also Südamerika! Nach 10 Tagen Pause in Bogota habe ich beinahe schon vergessen, wie es ist zu reisen. Ja, der Abschied tut noch etwas weh, aber es fühlt sich gleich mit den erstern Metern wieder gut an, auf den vertrauten zwei Rädern unterwegs zu sein. Bogota erweist sich mal wieder als ein Albtraum, als ich die Stadt einmal von Nord-Ost nach Süd-West durchqueren muss. Nur durch Nutzung aller Möglichkeiten des Vorankommens, sei es auf der Gegenspur, zwischen den Autos oder gar auf dem Gehweg, kann ich die Fahrzeit durch dieses Moloch auf eineinhalb Stunden begrenzen. Dabei muss ich erkennen, wie sich das Sozialgefüge von Nord nach Süden deutlich in den Keller bewegt. Mauricio hatte mich noch gewarnt, ich solle im Süden von Bogota tunlichst vermeiden, an den roten Ampeln zum Stehen zu kommen, sondern bei rot schon frühzeitig langsam auf die Ampeln zurollen und die Grünphase noch im Rollen erreichen. Ansonsten könne ich mich schnell mal mit einer Pistole oder einem Messer am Hals wiederfinden, bis ich mich meiner Wertsachen entledigt hätte. Ich hielt das für arg übertrieben, doch bei den vielen obskuren Gestalten auf der Straße hier kann ich plötzlich nachvollziehen, was er damit meinte.
So bin ich auch froh, endlich die Stadt verlassen und in die grüne Bergwelt der mittleren Cordillieren eintauchen zu können. Eine durchaus gute Straße führt mich auf fast 3.500 m hinauf. Später bremsen auf ca. 50 km riesige Bauarbeiten – man baut die Straße 6-spurig aus – das Fortkommen, und wieder kann ich nur mit meiner kryptischen Fahrweise das Weiterkommen gewährleisten. Zum Glück ist das in Kolumbien allseitig akzeptiert, sogar die Polizei macht es mir vor! Diese fährt auch gerne mal in Uniform die Freundin auf dem Polizeimotorrad spazieren und missachtet dabei von Helmpflicht über Stopschilder, durchgezogenen Linien bis zum Rotlicht so ziemlich alle Verkehrsregeln! Hier fühle ich mich wohl!


Entgegen aller Vorhersagen hält sich das Wetter ganz gut. Während der Abfahrt von der Cordilliere ins Magdalenatal klettert das Thermometer auf unangenehme 33 Grad. Das gab es seit Panama nicht mehr, wobei die Luft hier weit weniger feucht ist. Schon wenig später geht es ab Ibague wieder hoch hinauf zur sogenannten „Linea“ (3.200 m) und danach hinunter in das auf 1.500 Meter gelegene Armenia, der Hauptstadt der Provinz Quindio. Dort treffe ich in einem kleinen Hotel in der Fußgängerzone dieser netten Stadt auf meine amerikanischen Freunde Steve und Dave, die in der Zwischenzeit einen abenteuerlichen Abstecher nach Medellin hinter sich gebracht haben, der ihnen so manche Schlammpiste und durch Erdrutsche verschüttete Straßen beschert hat.
Mittlerweile hat sich mit Wayne ein weiterer Mopedfahrer dzugesellt. Er ist auf seiner Triumph Tiger XC 900 auch unterwegs nach Feuerland und kommt von einer kleinen Insel neben Vancouver Island. Man sieht es ihm wirklich nicht an, doch mit seinen 69 Jahren löst er Steve als den Gruppenältesten ab, was letzteren sehr erfreut. Wir verbringen gemeinsam einen sehr netten Abend in den Straßen und Plätzen dieser sehr lebhaften Stadt, und ich darf dabei feststellen, dass Wayne gut in die Gruppe passt. Für den nächsten Tag (Sonntag) habe ich mir Salento vorgenommen, das als schönster Ort der Kaffeeregion um Armenia gilt. Das sind nur knapp 30 Kilometer von hier, und alle wollen das sehen. Dave und Wayne bevorzugen aber im Hotel de la Calle Real in Armenia zu bleiben und das ganze als Tagesausflug zu machen, während Steve und ich die Nacht in Salento verbringen werden.

Der Weg nach Salento, so kurz er auch ist, benötigt viel Zeit. Auf kleinsten kurvenreichen Straßen quälen sich Autos und Busse hinauf nach Salento durch einen Regenwald, der in jeder Kurve reißende Bäche auf die Straße fließen lässt. Endlich oben im Ort angekommen, schlängeln wir uns durch den dichten Verkehr auf den schachbrettartig angeordneten Straßen des bunten Bergdorfes. Dave und Steve befriedigen dort als erstes ihre Sucht nach „Monster“ im erstbesten Kiosk.

Dann suchen wir unser Hotel „Hospedaje Vista Hermosa“ auf und können kaum glauben, was für ein schmaler und steiler Weg dahin führt. Autos haben hier keine Chance, Weicheier ebenso wenig!


Nachdem wir uns des Gepäcks entledigt haben, steht als nächstes das „Valle de Cocora“ auf dem Programm, das nur gut 10 km von Salento entfernt liegt. Dort wachsen – einzigartig auf der Welt – sogenannte Wachspalmen in „dichter“ Anordnung, sodass man hier von einem Wald spricht. In Wirklichkeit wachsen da einige hundert dieser bis zu 60 Meter hohen Palmen in Abständen von ca. 10-20 Metern. Ein witziges Bild geben diese Bäume ab, das tausende von Menschen an diesem Wochenende hierher lockt und für verstopfte Straßen sorgt.


Nach einem Mittagessen zu viert teilt sich die Reisegruppe in zwei Teile. Während Dave und Wayne zurück nach Armenia fahren, freuen Steve und ich uns auf einen schönen Nachmittag / Abend in Salento, wo wir zunächst unsere luxuriöse Suite beziehen. Es war das einzige noch freie Zimmer in diesem Hotel, dass in meinem Reiseführer so gelobt wurde – und das zu Recht!
Der Ort Salento ist um die Plaza de Bolivar angeordnet. Hier tobt das Leben! Im Zentrum steht das Denkmal für Simón Bolivar inmitten eines hohen Palmenhains. Simón Bolivar wird bis heute in einigen Südamerikanischen Ländern, so auch in Kolumbien, als Befreier von der spanischen Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert verehrt. Gesäumt wird der Platz von zweigeschossigen, Häusern mit schönen, bunten Balkonen. Am heutigen Sonntag ist hier alles auf den Beinen, was in der Umgebung wohnt. Man flaniert in Großfamilie über den Platz, schleckt Eis, genießt Churros und schaut dem bunten Treiben auf der Plaza zu. Da werden Kinder in liebevoll gebastelten Autos für einen kleinen Obolus einmal rund um die Plaza geschoben, ein älteres Paar tanzt eng umschlungen und bittet um ein paar Pesos zum (Über) Leben und am anderen Ende läuten die Glocken der Kirche zum Messgang.



Es macht Spaß, sich einfach auf die Bordsteinkante zu setzen und dem ganzen Geschehen eine Weile lang zuzusehen – einfach abzutauchen in eine so gänzlich andere Welt! Das geht offensichtlich nicht nur mir so. Auch auf den Balkonen rund um die Plaza kann ich interessante Gesichter entdecken, die es mir gleich tun.



Nach einer Weile des Träumens und Genießens vertreibt mich ein plötzlich aufkommendes Gewitter von der Bordsteinkante. Es dauert nur wenige Minuten, entlädt aber soviel Wasser auf den Platz, dass sich dieser binnen Sekunden in einen Fluss verwandelt. Etwas später zeugt nur noch ein wunderschöner Regenbogen von diesem Naturspektakel.

Eine 250 Stufen hohe Pilgertreppe entlang der 12 Stationen des Kreuzweges führt zu einer Aussichtsplattform, die einen tollen Überblick über Salento gewährt. Gar nicht so groß von hier oben, wie unten gefühlt im Straßenverkehr!

Es ereilt uns am Abend noch das eine oder andere Gewitter, doch die Menschen hält das nicht vom Flanieren ab. Bis spät in den Abend dauert das Treiben in den Gassen und der Plaza, begleitet von Salsa-Rhytmen aus allen Ecken. Wir genießen es sehr. Keine Frage, Salento hat wirklich Charme!


Am Montag, nach einem reichlichen Frühstück mit Arepas und Früchten, wollen wir Salento verlassen, doch offensichtlich habe ich am Vortag die Zündung zu lange eingeschaltet gelassen, um mein GPS zu laden. Außer mit einem Klacken beantwortet die Maschine mit keinem Ton das Drehen des Zündschlüssels. Ich bin noch nicht vom Moped abgestiegen, da schieben mich schon zwei Arbeiter, die flugs vom Gerüst des Nachbarhauses gestiegen sind, den Berg hinauf, damit ich es mit einem „Jump Start“ probieren kann. Unter ihrem Beifall und Gejubel klappt das auch auf Anhieb! Ich bedanke mich herzlich und finde mich alsbald auf der kurvigen Abfahrt durch den Regenwald, die ich diesmal sogar ohne Autoverkehr genießen kann. Dem Rio Quindio, den wir im Tal überqueren, wird es nach den gestrigen Regenfällen in seinem Bett fast zu eng. Dafür leuchtet alles in frischem Grün!

Steve und ich sind für gleich mit Dave und Wayne an einer Kreuzung in Armenia verabredet, um noch gemeinsam bis nach Cali zu fahren, bevor ich mich wieder ausklinken werde, um die Familie in Cali zu besuchen. Fast zeitgleich erreichen wir alle vier den verabredeten Ort und nehmen bei schönstem Sonnenschein – willkommenerweise irrt schon wieder der Wetterbericht – die knapp 200 km zur Hauptstadt der Provinz „Valle de Cauca“ unter die Stollen. Die Strecke ist landschaftlich nicht so aufregend, hat aber entlang des Straßenrandes viele Obst- und Gemüsestände, die in ihrer Farbenpracht sehr lieblich anmuten.

In Cali verabschiede ich mich von Steve, Dave und Wayne, die hier ein Hotel suchen und morgen weiterfahren werden. Sie haben noch einige Stationen in Kolumbien und in Ecuador auf dem Zettel stehen, die ich bereits besucht habe. So werde ich in den kommenden drei Tagen bei Virginia, einer Cousine von Ariane, und ihrem Mann Frenando wohnen, die ganze Großfamilie dort treffen, und die drei Reisegefährten danach irgendwo im Süden Ecuadors oder in Peru einholen, um dann gemeinsam mit ihnen weiter zu reisen.
Auf dem Wege zu Virgini und Fernando durchquere ich einmal von Nord nach Süd die 3-Millionen-Stadt Cali und erlebe auch hier ein beeindruckendes Sozialgefälle, das mich den mahnenden Worten von Mauricio folgend, nur langsam an die roten Ampeln heranrollen lässt, um ein Stehenbleiben zu vermeiden. Irgendwie sind da fast alle Metropolen dieser Erde ähnlich. An den Rändern wird es ungemütlich!
Von Cali schreibe ich dann im nächsten Blog!