Ich wußte nicht im entferntesten, was uns in Guatemala erwarten würde. Insofern bin ich weder begeitert noch enttäuscht von der Art und Weise, wie uns das Land heute empfangen hat. Es war aufregend, am Anfang warm, später kalt, es war staubig, stinkig und extrem turbulent. All das sorgt dafür, dass wir am ersten Abend vollkommen erschöpft in einem mittelschönen Hotel in Sololá landen und uns erstmal auf ein typisches Abendessen freuen, wie es uns versprochen wurde.

Der Tag startet von der schönsten Unterkunft, die wir in Mexiko hatten, dem Hotel El Angel in Comitán. Schwere Wolken lassen uns besorgt himmelwärts schauen, doch das Wetter hält. Wir überqueren einen Bergkamm und fahren durch die Wolken hindurch. Auf der anderen Seite treffen wir wieder auf Sonne und erreichen bei gerade noch erträglichen 28 Grad La Masilla, den Grenzort zu Guatemala. Auf der mexikanischen Seite entdecken wir linker Hand gerade noch rechtzeitig das „Banjercito“, wo wir die Ausfuhr der Motorräder dokumentieren müssen, um die vor zwei Wochen gezahlte Kaution von 400.- US$ zurück zu erhalten. Das ganze dauert fast eine Stunde, denn ein Zöllner vergleicht in einer langen Prozedur die Daten auf dem Importpapier mit den Ziffern, die er an den Mopeds vorfindet. Alles läuft streng nach Vorschrift und wird mit einer Menge Photos dokumentiert, aber man ist sehr freundlich zu den Gästen!

Wir fahren 3 Kilometer weiter zum Schlagbaum der Guatemalteken. Dort will man zunächst unsere Mopeds desinfizieren und verlangt dafür je 18 Quezal. Natürlich haben wir noch keine Quezales. Also bieten sich gewiefte Schwarzhändler an, Dollar in Quezal zu tauschen. 7 Quezal für einen Dollar. Das ist etwas schlechter als der offizielle Kurs, aber nun gut! Steve gibt 8 Dollar aus der Hand, erhält dafür aber nur 40Q statt der versprochenen 56Q. Für kleine Dollarnoten sei der Kurs schlechter heißt es. Das ruft mich auf den Plan! Die 8 Dollar bleiben bei Steve, die 40Q gehen zurück an den Schwarzhändler. So laufe das nicht, erkläre ich dem Desinfizierer und schicke uns an, undesinfiziert weiter zu fahren. Da geht die Desinfiziererei auf einmal gänzlich unentgeldlich! Na bitte – geht doch!
Anschließend schickt man uns erst zum Zoll, um dort zu erfahren, dass man erst zur „Immigracion“ müsse, um den Pass stempeln zu lassen. Also zurück zur Immigracion, wo wir schnell die begehrten Stempel in den Pass gedrückt bekommen. Jetzt aber zum Zoll! Ja, ob man uns bei der Immigracion denn kein Zollformular gegeben habe? Nein, hat man nicht! Dann wieder zurück zur Immigracion und das entsprechende Formular abgeholt und ausgefüllt. Jetzt endlich bedient man uns am Zoll. Wieder werden die Mopeds genaustens inspiziert: Fahrgestellnummer, Motornummer, Nummernschild! Nach über einer Stunde erhalten wir dann Zollpapiere für die Mopeds und einen Aufkleber für die Scheibe. Dann nur noch schnell jeder 160Q bezahlen. Das geschieht in der Zollkasse nebenan. Kreditkarte? Nein Fehlanzeige! Nur bar! Macht ja auch Sinn, bei Einreise in ein fremdes Land! Wo bekommen wir jetzt Quezales her? 800 Meter die Straße hinter dem Schlagbaum hinauflaufen, dort gibt’s einen ATM. Bei 28 Grad in Mopedklamotten? Kein Problem! Am Ende ist auch das geschafft, ebenso wie ich selbst. Alles in allem etwa drei Stunden, und wir sind in Guatemala!


Nachdem wir La Masilla verlassen, offenbart sich die ganze Armut dieses Landes in der Straße und den Dörfern, die wir passieren. Ich muss mir erst selbst darüber klar werden, dass wir hier auf einer der bedeutensten Straßen Guatemalas unterwegs sind, verbindet sie doch einen der drei Grenzübergänge von Mexiko mit Ciudad Guatemala, der Hauptstadt des Landes! Sowohl die vielen Tope (Schwellen) als auch die Schlaglöcher, die oftmals Kindern als Pool reichen könnten, lassen den Verkehr in Abständen von wenigen hundert Metern immer wieder zum Erliegen kommen. Autofahren wird hier zum Albtraum! Aber auch mit dem Moped ist ein Fortkommen nur unter Misachtung sämtlicher Regeln möglich. Das Gute: Es wird allenthalben ohne Aufregung akzeptiert! Das schlimmste an der Fahrerei in Guatemala sind aber die Busse! Bunte Chivas mit Motorhaube, die sehr lustig aussehen, hinter denen herzufahren aber alles andere als lustig ist. Mit einem monströsen Gebrüll tauchen diese Dreckschleudern beim Gasgeben jeden Hinterherfahrenden in eine tief-schwarze Russwolke unglaublichen Ausmaßes. Das ist echt eine Zumutung und sorgt für rabenschwarze Gesichter hinter den Visieren. Ich habe in den zwei Tagen wahrscheinlich mehr Feinstaub eingeatmet als in Berlin im ganzen Jahr!
Für die ersten 100 Kilometer benötigen wir über drei Stunden und gute Nerven. Dazu ein ausgeprägtes Absorptionsvermögen der Wirbelsäule und der Gesäßmuskeln! Danach werden die Straßen ein wenig besser, sodass auch ein Blick möglich wird auf die Schönheit der Landschaft, durch die wir fahren. Wir bewegen uns weiterhin auf Höhen über 2.000 Metern und durchfahren spektakuläre Schluchten und quirlige Ortschaften. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kommen wir nach Sololá, oberhalb der Laguna de Atitlán gelegen. Das ist ein traumhafter See, der von Vulkanen wie aus dem Bilderbuch gesäumt wird. Zum Baden ist er wohl zu kalt, aber trotzdem ist er ein touristisches Highlight für vermögende Guatemalteken aus der Hauptstadt, die mit ihren Lanchas (Sportboote) auf dem See cruisen.

Da wir seit der Grenze keine Möglichkeit zum Geldabheben für Steve und Dave gefunden haben – das scheint in Guatemala ein wirkliches Problem zu sein – fahren wir zunächst an einem vielversprechend aussehenden Hotel vorbei ins Zentrum von Sololá, in der Hoffnung, dort eine Bank mit Geldautomaten zu finden. Was für ein Fehler! In den engen Gassen von Lololá bleiben wir eine halbe Stunde im Verkehrschaos stecken. Auf üblem Pflaster quälen sich hier die Autos von Kreuzung zu Kreuzung, die von unzähligen Polizisten so geregelt werden, dass gar nichts mehr läuft. Weniger wäre hier eindeutig mehr! Am Ende finden wir aber einen ATM, der meinen Mitreisenden Quezales ausspuckt. Da es hier im Zentrum wenig einladend aussieht, bevorzugen wir zu dem schönen Hotel, dass wir weiter oberhalb des Ortes passiert haben, zurückzufahren. Dort erfahren wir zum erstmals, dass ein Hotel ausgebucht ist. Eine Nachricht, die drei müde Biker nicht gerade erheitert. Gegenüber gibt es noch ein Hotel über einer Mopedwerkstatt, das nicht gerade toll aussieht, aber in der Not….
Dort gewährt uns eine nette Dame Unterschlupf und wartet mit Zimmern auf, die wir gar nicht erwartet hätten. Die ganze Familie ist involviert. Die Söhne, die in der Werkstatt arbeiten, tragen uns das ganze Gepäck in die Zimmer und schieben auch noch unsere Mopeds nach Werkstattschluss in dieselbige! Später serviert man uns auf der Dachterasse mit Blick über den abendlich umleuchteten See ein sehr leckeres Abendessen. So erhält dieser aufregende und anstrengende Tag noch ein sehr schönes Ende!
Am Morgen hätte man uns auch noch ein Frühstück serviert, aber gewohnheitsgemäß fahren wir ohne Frühstück los. Zuvor nutze ich die Gunst der Werkstattnähe, um mir den 27-er Schlüssel zu leihen, den ich für den regelmäßigen Wechsel des Kettenritzels benötige, den ich aber zuhause vergessen habe. Auf kleinen Straßen fahren wir anschließend östlich um die Lagune herum und freuen uns heute über ganz passable Straßenzustände. Offensichtlich macht sich die Nähe zur Hauptstadt bemerkbar.

Während einer steilen Abfahrt meldet sich Steve über die Helmsprechanlage. Seine hintere Bremse zeige kaum noch Wirkung. Eine nähere Betrachtung der Bremse zeigt sowohl Luft im System, als auch total abgefahrene Beläge. An einer Tanke finden wir Wasser und Druckluft, um die Bremse zu reinigen, ehe wir die Beläge wechseln und das System entlüften. Nach nur 15 Minuten ist alles wieder prima.


Wir fahren weiter auf der RN-1, einer super asphaltierten Kurvenstraße, die uns erstmals in Guatemala richtige Fahrfreude bereitet. Um so erstaunter sind wir kurze Zeit später, als sich diese tolle Straße auf einmal in eine löchrige Piste verwandelt, um gleich nach der ersten Kurve durch einen Fluss zu gehen. Es sieht nicht schlimm aus, doch wer weiß, wie tief es auf diesen ca. 20 Metern wird? Augen zu und durch! So entstehen schöne Bilder von Dave und Steve bei der Fahrzeugwäsche! Direkt nach der Flussquerung beginnt wieder der nahezu perfekte Asphalt. Man hatte hier offensichtlich einfach kein Geld für eine Brücke – das ist Guatemala!


Mittags kommen wir durch Patzún, ein etwas größeres Örtchen, das uns ganz gut gefällt und uns zum Mittagessen einlädt. Chinesisches Essen in Guatemala, das hat doch mal was! Auf der Hauptstraße herrscht ein buntes Treiben, auch wenn unklar bleibt, was denn die vielen Menschen auf der Straße eigentlich machen.


Hinter Patzún würde die direkte Strecke eigentlich durch die Hauptstadt Ciudad Guatemala laufen. Darauf haben wir aber alle gemeinsam keine Lust. Also lasse ich mich vom GPS zu einer alternativen Strecke verführen. Diese sieht zunächst klasse aus, mündet aber schließlich auf eine lehmige Piste, die unter dem Hurricane Julia jüngst sehr gelitten zu haben scheint. Mit schlechtem Gewissen gegenüber meinen Hinterherfahrenden überlege ich mit jedem weiteren Meter auf dieser wahrlich anspruchsvollen Piste, ob ich nicht besser umkehren soll. Aber jetzt sind wir schon so weit gekommen, da muss doch das Ende bald erreicht sein! Ist es nicht! Ich höre Steve durch die Helmsprechanlage schon schwer atmen, als auf einmal ein lautes „Oh shit!“ ertönt. Der Rückspiegel offenbart das Malheur! Gar nicht so leicht, hier anzuhalten, das Moped abzustellen und zurück zur Hilfe zu eilen! Ich finde Steve von seinem Moped gefangen im Dreck vor, es ist aber weiter nichts passiert. Zum Glück!

Mit Hilfe des Baggerführers, der diese Falle gerade erst produziert hat, richten wir die GS wieder auf, und Steve nimmt die letzten Meter unter die Stollen, ehe der harsche Übergang von der Piste auf gepflasterten Grund ihn ein weiters mal zu Boden zwingt. Diesmal zieht er gleich die dicke GS von Dave mit ins Verderben! So liegen jetzt gleich zwei Dickschiffe und ein 68-jähriger Biker am Boden. Wieder bleibt alles heil! Chapeau, alter Freund, was Du so alles anstellst!


Nach diesem Schrecken, den aber alle mit viel Humor genommen haben, nehme ich die „ungeteerten Straßen“ für’s erste aus den Routenoptionen meines GPS heraus. Über „ordentliche“ Straßen steuern wir als nächstes Highlight die alte Hauptstadt Guatemalas an. Antigua, süd-westlich von Ciudad Guatemala gelegen, war bis Mitte des 18. Jahrhunderts die Hauptstadt des Landes, bis sie durch ein Erdbeben zerstört wurde. Trotzdem ist noch jede Menge alter Bausubstanz vorhanden, die eine Menge Touristen anlockt. Hier sehe ich viele Europäer, die mir bislang in Guatemala noch gar nicht begegnet sind. Auffallend, finden wir in Antigua zum ersten mal überhaupt irgendwelche Spuren von Tourismus. Das ist nicht nur angenehm – zumindest was die aufdringlichen Andenkenverkäufer betrifft! Ansonsten ist Antigua mit seinem groben Kopfsteinpflaster eine einzige Augenweide, deren guter Erhaltunszustand für eine Listung als Weltkulturerbe reicht.




Es gehört seit Ankunft in Zentralamerika schon zum Tagesablauf, dass uns irgendwann am Nachmittag ein Gewitter ereilt – so auch heute. Der Griff zur Regenkleidung wird zur Routine. Die letzten Kilometer des heutigen Tages legen wir im Regen zurück. Kurz vor Cuilapa ist der Spuk schon wieder vorbei. Dort finden wir ein wahrlich unerwartet schickes Hotel, in dem wir unsere letzte Nacht in Guatemala bleiben werden. Den Pool nutzen wir zwar nicht, doch dafür gibt es ein stabiles und schnelles Internet, das mir die Veröffentlichung dieses Beitrags erlaubt – auch nicht selbstverständlich in diesem Land!

Ja, was ist das überhaupt für ein Land, dieses Guatemala? Zunächst ist da diese große Armut und die sehr schlechte Infrastruktur. Dann der unsägliche Verkehr mit all seinem Dreck. Das alles wird aber eingebettet in eine enorme Freundlichkeit seiner Bewohner! Die Guatemalteken zeigen sich sehr offen und interessiert an uns Reisenden. In einem sehr verständlichen Spanisch und zu einem nicht ganz geringen Teil auch in Englisch werden wir allenthalben angesprochen, wo immer wir auftauchen; sei es an der Tankstelle, im Restaurant, im Hotel oder auf der Straße. Hinzu kommt eine oft atemberaubend schöne Landschaft, wie die Laguna de Atitlán mit den Vulkanen, und Kulturgut wie Antigua. Sicherheit? Ja, das ist mal wieder wie immer! Wir spüren nichts von Unsicherheit, aber die schwer bewaffneten Militärs und Sicherheitskräfte überall im Land erzeigen schon ein komisches Gefühl im Bauch!
Morgen geht es schon ins nächste Land. El Salvador – wir sind schon sehr gespannt! Man hört nicht gerade viel Gutes über dieses Land, doch Lonely Planet will wissen, dass es das meist unterschätzte Land Mittelamerikas sein. Mal schauen, ob das stimmt. Steve wünscht sich einen Ruhetag am Meer. Ob wir den in El Salvador finden werden?
Lieber Wolfram,
das sind ja tolle Einblicke in ein Land, das man eher aus „Negativschlagzeilen“ kennt, sicher kein Fehler zu dritt unterwegs zu sein. Ich wünsche Euch weiterhin eine sichere und interessante Reise – bis bald.
Beste Grüße
Uli
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