Unsere erste Großstadt-Erfahrung auf mexikanischem Territorium haben wir unbeschadet überstanden, ohne dabei allzu tief in die urbanen Strukturen eingetaucht zu sein. Am frühen Morgen präsentiert sich die Stadt im Sonnenlicht schon viel freundlicher. Wir brechen am Freitag aus unserem Hotel „La Finca“ in Hermosillo in Richtung Osten auf. Erstmals in Mexiko nehmen wir heute kleinere Provinzstraßen, die in der Karte gelb oder gar weiß eingezeichnet sind. Gleich hinter der Stadtgrenze von Hermosillo präsentiert sich das Land auf gänzlich neue Weise. Es wird alles grün! Die Pflanzen ragen zum Teil weit in die Fahrbahn rein. Schon bald verlassen wir die Tiefebene und arbeiten uns in eine bewaldete Hügelwelt vor. Die Temperatur ist zu dieser Stunde noch im grünen Bereich, was sich aber schnell ändert.

In Mazatán halten wir bei bereits 30 Grad auf ein Getränk an und finden einen typischen Straßenort, der über ein paar kleine Läden, Grillstände und über eine Tankstelle mit Llantera (Werkstatt) verfügt. Das alles hat schon deutlich bessere Zeiten erlebt, doch die Farben werden immerhin ab und zu wieder aufgefrischt. Die Menschen leben hier anscheinend zum Teil in Subsitenzwirtschaft, jedenfalls lassen die vielen Viecher in den Gärten darauf schließen. Ansonsten gibt es im Ort noch etwas Handel und Dienstleistung – letzteres vor allem für KFZ-Reperaturen.


Etwa eine halbe Stunde später wollen wir über eine weiße Straße nach Tonichi auf die Nationalstraße wechseln. Es beginnt alles ganz nett, bis wir nach Soyopa kommen. Dann behauptet ein Wegweiser, es gehe rechts nach Tonichi. Aber dort ist nur ein ziemlich schlechter Feldweg zu sehen. Ungläubig folgen wir der Beschilderung und arbeiten uns auf einer stark ausgewaschenen Geröllpiste fast 30 Kilometer nach Tonichi durch. Das ist insbesondere für Steve und seine deutlich schwerere BMW eine ziemliche Herausforderung, die er mit Bravour meistert. Über unsere Helmsprechanlage kann ich ihn gut auf die schlimmsten Passagen vorbereiten.
Auf der Nationalstraße 16 angekommen, so denke ich zumindest, sollte es wieder etwas zügiger in östliche Richtung ins Gebirge gehen, doch das ist weit gefehlt. Gleich als wir die Grenze zum Staat Chihuahua überschreiten, wird die Straße extrem schlecht. Die Schlaglöcher sind so dicht, dass man von Asphalt gar nicht mehr reden kann. Dazu wird es sehr eng und kurvig. Wir gewinnen schnell an Höhe. Bald fahren wir ständig auf über 2.500 Metern und das Thermometer sinkt auf 12 Grad. Soeben noch geschwitzt, friere ich nunmehr in meiner von einem kurzen Gewitter angefeuchteten Kleidung, was ich bald mit einer ordentlichen Bronchitis quitiert bekommen soll. Auf diese Weise bewegen wir uns im Schneckentempo fort, schaffen keine 40 Kilometer pro Stunde, sind dabei aber immernoch viel zügiger unterwegs als die wenigen Autos, die hier anzutreffen sind. Unser Tagesziel erreichen wir nicht, die Dämmerung zwingt uns in Basaseachi zu übernachten, wo wir wieder ein ganz akzeptables Hotel finden. Die vielen Pick-ups, die dort mit riesigen Anhängern abgestellt sind, machen mich stutzig. Die Aufklärung kommt gegen 22 Uhr, als wir schon schlafen. Dann kommt nämlich eine ganze Armada an ATVs (All Terrain Vehicles) mit ohrenbetäubender mexikanischer Musik von ihrem Off-Road-Ausflug zurück und bevölkert das bis dahin leere Hotel. Feiern können die; das muss man ihnen lassen!

Am Morgen geht es bei den ATV-Freunden schon früh los. Offensichtlich gibt es einiges zu schrauben. Motoren heulen auf, es wird gerufen und gelacht. Mit Lärm haben die kein Problem! Es ist noch sehr frisch, als wir um halb neun weiterfahren. Die Bronchitis hat mich eingeholt, aber außer dem rasselnden Husten geht es mir ansonsten gut. Die Landschaft wir immer rauer und die menschlichen Ansiedlungen immer seltener. Wir treffen relativ viele Menschen auf der Straße an, die offensichtlich große Strecken zu Fuß zurücklegen. Dabei fällt auf, dass die Menschen wenig Reaktion zeigen, wenn wir vorbeifahren und grüßen. Es erinnert mich ein wenig an Russland. Dort waren die Menschen zwar sehr freundlich und aufgeschlossen wenn man sie ansprach, doch zeigten sie von selbst keinerlei Regung. Auch hier vermute ich, dass das Leben der Leute zu beschwerlich ist, als dass sie für nicht (über)lebenswichtige Dinge, und durchreisende Mopedfahrer gehören zweifelsfrei dazu, eine ausreichende Kapazität an Aufmerksamkeit hätten.
Kurz hinter Basaseachi machen wir einen Abstecher zum gleichnamigen Wasserfall, der aus einem Tal beeindruckende 250 Meter in die Tiefe eines Canyons stürtzt. Seltsamerweise sind wir hier fast alleine unterwegs. Insgesamt scheint die Tourismussaison schon vorbei zu sein. Die Herbstverfärbung hat schon deutlich eingesetzt und das Wetter ist schwer vorhersagbar. Oft denke ich, dass wir gleich in die Regenklamotten schlüpfen müssen, aber dann wendet sich die Straße wieder einem Wolkenloch zu und wir schauen den Gewittern aus der Ferne zu. Es ist eine wilde und nicht sehr menschenfreundliche Landschaft, durch die wir hier fahren. Die Instandhaltung der Straßen scheint die zuständigen Stellen bei weitem zu überfordern, aber uns gefällt es hier sehr, sehr gut!

Nach insgesamt 250 Kilometern verlassen wir endlich die miserable Nationalstraße und nehmen eine weiße Straße, die uns nach San Juanito führt. Diese ist zwar sehr gewunden, dafür aber in besserem Zustand. Trotzdem brauchen wir 2 Stunden für gut 90 km. In San Juanito finden wir wieder eine private Küche in einem Imbisswagen vor einem Wohnhaus. Der Herr des Hauses bedient uns mit Getränken und zeigt uns das Plumsklo im Garten, während uns die Dame köstliche Fajitas zubereitet. Das ganze genießen wir noch in der Sonne, ehe uns ein aufziehendes Gewitter zur Weiterreise mahnt.

Wir entkommen dem Gewitter nicht so ganz. Etwas angefeuchtet erreichen wir Creel, den letzten Ort mit Tankstelle, bevor wir in den Canjon del Cobre aufbrechen. Steve hat dieses Ziel als Empfehlung mitgenommen. Die Straße dorthin biegt in Samachic ab, ist 65 Kilometer lang und wurde erst 2015 komplett neu gebaut. Eine wahnsinnige Streckenführung an steilen Berghängen entlang! Die heftigen Regenfälle dieses Sommers haben zu enormen Felsstürzen und ganzen Bergrutschen geführt, sodass von dieser so neuen Straße in weiten Teilen nicht mehr viel übrig geblieben ist.




Manche Passagen haben eine solche Zerstörung erfahren, dass das Befahren auch mit einer Enduro, zumal wenn sie schwer beladen ist, nicht leicht ist. Steve macht seine Sache sehr gut, ist aber wegen der morgigen Rückfahrt arg in Sorge.



Die Sonne steht schon tief über den Berggipfeln, als wir den Canyon über eine interessante Brücke überqueren, um in den Ort Batopilas zu gelangen. Was uns hier erwartet, sprengt meine Erwartungen. Statt eines spatanischen Dörfchens mit ein paar Baracken finden wir eine wunderschöne im Kolonialstil erbaute Kleinstadt mit 1.200 Einwohnern vor.


Direkt an der stattlichen Plaza Mayor finden wir das Hotel Juanito. Antonio, der Hotelier ist erst nach intensiver Suche ausfindig zu machen. Das Hotel war bis 1990 das Wohnhaus seiner Großmutter, das er in den 90-er Jahren Stück für Stück zum Hotel ausgebaut hat. Es verfügt über einen bildschönen Patio, der an einer Seite offen zum Canyon ist. Dort beobachten wir später den Sonnenuntergang bei einem kühlen Getränk auf einer gemütlichen Bank und treffen dabei auf 4 amerikanische Enduristen, die regelmäßig zum Off-Road-Fahren hierher kommen. Unsere dreckigen Mopeds dürfen wir ganz selbstverständlich im Patio abstellen, auch wenn das bedeutet, die Dinger durch die Küche zu fahren – alles kein Problem!

Wir verbringen einen schönen Abend in Batopilas, schlendern durch die Gassen, bewundern die tolle Architektur und die schicken Sitzbänke, lassen uns von der mexikanischen Küche verwöhnen und von Autos beschallen, die mit ultralauter Musik ihre Runden durch das winzige Örtchen drehen. Musik gehört in Mexiko einfach zum Abend dazu, will mir scheinen!
Ohne Frühstück machen wir uns am Sonntagmorgen daran, die kaputte Straße aus dem Canyon heraus zu bezwingen. Läuft am Ende leichter als gedacht, aber die Zerstörung beeindruckt jedesmal wieder aufs Neue. Heute begegnen uns auf der Straße viele Esel, die erstaunt den wenigen Fahrzeugen zusehen. Dabei sind viele Jungtiere.

Trotz des langsamen Starts legen wir heute ein ordentliches Stück des Weges nach Süden zurück. Das liegt zum einen an vielen Stunden im Sattel, aber auch daran, dass die Straßen so peut-à-peut besser und die Kurvenradien größer werden. Wir bleiben stets in der Region von 2.500 Metern Höhe, aber die Berge werden etwas sanfter und weiter. Menschliche Ansiedlungen bleiben uns heute weitestgehend vorenthalten. Dafür gibt es viele Tiere, vor allem Greifvögel zu beobachten. Ein makabres Bild liefert ein Rinderkadaver, der gerade von hunderten Rabengeiern ausgeweidet wird. Leider verscheuchen wir die meisten davon. Ein heftiges Bild und ebensolcher Gestank!

Am späteren Nachmittag werden wir nochmal ordentlich nass, als genau eines der zahlreichen Gewitter sich unserer nicht erbarmen will. Zu spät steigen wir in die Regenklamotten – Auweia, meine Bronchien! Hinter Hidalgo del Parral wird die Fahrt recht eintönig. Auf einer Hochebene auf 2.300 Metern fahren wir auf einer schnurgeraden und gut ausgebauten Nationalstraße durch endloses Ranchland. Auf fast 200 Kilometern sehe ich links und rechts der Fahrbahn kein Stück zugängliches Land. Orte tauchen auch kaum noch auf. Auf halber Strecke von Parral nach Durango kreuzt dann gerade rechtzeitig vor Sonnenuntergang eine andere Nationalstraße. Und just an dieser Kreuzung steht einsam und verlassen ein ganz schickes zweistöckiges Gebäude mit einer Natursteinfassade. Es gibt weder ein Schild noch irgend einen anderen Hinweis auf ein Hotel, aber die Architektur spricht ganz deutlich dafür. So fahren wir auf das von einer Mauer eingegrenzte Gelände des Gebäudes, auf dem keinerlei Zeichen für die Anwesenheit eines menschlichen Wesens zu finden ist. Aber als Reiseprofi gibt man nicht so schnell auf, und siehe da, irgendwo finde ich eine angelehnte Tür und dahinter eine junge Dame beim Putzen eines Gästezimmers. Also doch ein Hotel! Als einzige Gäste checken wir ein und erhalten ein super großes Zimmer mit überdachtem Parkplatz davor, was in Anbetracht anstehender Gewitter natürlich sehr geschätzt wird.


Der Nachtportier wird später nur für uns das Restaurant öffnen und uns noch ein Abendessen zubereiten. Dabei betont er die Gefährlichkeit von Nachtfahrten. Ob es nun wirklich die Drogenbanden, wie behauptet, oder nur neinfache Kriminelle sind, sei einmal dahingestellt. Aber es soll nachts zu vielen Überfällen auf Fahrzeuge kommen, in denen die Insassen ausgeraubt werden. Besser nicht testen!
In der Nacht lauschen wir dem Prasseln des Regens und den hellen Blitzen und erfreuen uns unserer und der Mopeds Bleibe im Trockenen. Der rasselnde Husten stimmt schön in dieses Geräuschgemenge ein, aber es geht mir insgesamt nach wie vor gut!
Morgen steht Durango, eine Kolonialstadt, auf dem Plan – eine weitere Empfehlung von Steve!
Hallo Wolfram, willkommen abseits vom „Mainstream“. Die Orte musste ich alle auf Google-Maps suchen – tolle Landschaft. Gute Besserung und weiterhin gute Fahrt.
Beste Grüße
Uli
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Macht doch mal ne Pause und sitzt die Bronchitis aus! Oder habt ihr vorgebucht? 😉
Funfact: Die Krähen waren natürlich Geier.
Klugscheißende Grüße
G.
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