19 Rocky Mountains National Park

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen um den Verstand bringen. Wir wollen heute ein gutes Stück in Richtung Rocky Mountains National Park vorankommen, denn dort soll es nur noch morgen am Vormittag schön sonnig sein, doch es trennen uns noch 750 Kilometer! So ist eine frühe Abfahrt von Cody geplant. Nur noch kurz vorher zu einem der dünn gesähten AT&T Läden, um meine gestern abgelaufene SIM-Karte zu verlängern. Reisen ohne Netzverbindung ist mühsam! Ich komme dort um halb zehn an, doch Geschäftsbeginn ist erst um 10. Also noch tanken und etwas für die Fahrt zu essen kaufen. Dann wieder vor dem AT&T Laden. Drinnen sehe ich eine Verkäuferin, die gelangweilt auf die Uhr schaut, um die zehn Uhr sekundengenau abzupassen, ehe sie sich meiner erbarmt und die Tür öffnet. Eine Verlängerung der Telefonkarte um einen weiteren Monat sollte nicht so schwer sein, denke ich. Ja aber ….. die gelangweilte Dame besitzt keine Manager-Rechte im System von AT&T, und diese sind von Nöten, um einen Prepaid-Vertrag zu verlängern. Die Managerin sei aber heute nicht im Laden. Im Walmart gegenüber sei aber auch noch eine AT&T Verkaufsstelle. Ich bedanke mich für den heißen Tip und laufe genervt auf die andere Straßenseite. Dort finde ich dann aber eine sehr engagierte junge „Card Managerin“, die ihren Job ernst nimmt und zudem auch noch Ahnung hat. Sie probiert mehrere Wege, aber es scheitert immer daran, dass man mir vor einem Monat in Fairbanks nicht die Karte mit dem für die Vertragsverlängerung notwendigen PIN mitgegeben hat. Am Ende kaufe ich eine neue Karte und bin wieder online! Wie abhängig man doch in dieser digitalen Welt geworden ist!

Nun hole ich Ariane noch im Hotel ab, die schon glaubte, ich habe Ihre Bitte, sie nicht in Cody zu vergessen, überhört. Nun aber los! Wir lassen Cody bei schönstem Wetter hinter uns und folgen dem Highway 120 durch hügeliges Farmland nach Thermopolis, einem 2.000-Seelenörtchen, das für seine heißen Quellen berühmt ist. Bei 29 Grad testen wir diese und halten es kaum mehr als 10 Minuten aus. Trotzdem ein schönes Erlebnis!

Heiße Quelle von Thermopolis – 41 Grad warmes Wasser bei 29 Grad Lufttemperatur!

Anschließend suchen wir einen netten, kleinen Imbiss auf, der schöne Tische im Schatten bietet. Dort sprechen uns Laura und Justin auf unser deutsches Kennzeichen an. Sie haben 6 Jahre für die Armee in Süddeutschland und Geilenkirchen verbracht. Justin war dort in einem großen Team aus Historikern, Geologen und Biologen tätig, um noch 70 Jahre nach Kriegsende den Verbleib von 72.000 vermissten US-Soldaten zu klären. Unglaublich! Jetzt ist er als Soldat pensioniert und verdient sich als Manager für den Transport der Schüler der örtlichen Highschool noch ein Zubrot.

Wir sitzen fast eine Stunde zusammen bei sehr interessanten Gesprächen. Unter anderem empfehlen sie uns als heutiges Etappenziel Saratoga mit einem historischen Hotel und heißen Quellen, die rund um die Uhr frei öffentlich zugänglich sind. Das sind nochmal stramme 350 Kilometer, bringen uns aber ein gutes Stück in Richtung Rocky Mountains NP weiter! Und wir sollen nicht vergessen, uns unterwegs Jeffrey City, eine Geisterstadt, anzusehen. Aus Thermopolis führt uns der Weg durch den Wind River Canyon. Eine traumschöne Strecke entlang eines Bahngleises, das dem Anschein nach allzu oft von Geröllmassen verschüttet sein dürfte, so wie die Erosion hier ihr Spiel mit den Elementen treibt. Der Canyon, bzw. der River mündet im großen Boysen Lake, der inmitten goldener, abgeernteter Felder mit seiner türkisen Farbe einen malerischen Kontrast bildet. Zwei Stunden später erreichen wir Jeffrey City, das in der Tat verlassen dasteht, dabei aber wenig Geisterstadtromantik versprüht, sondern eher einem abgewrackten Schrottpaltz gleicht.

Wenig romantische Geisterstadt: Jeffrey City

Wir genießen diesen langen Fahrtag sowohl ob des tollen Wetters, als auch der abwechslungsreichen Landschaften und der vielen Prong Horns, eine Art Deer, die den Wegesrand säumen. Doch kurz vor Sonnenuntergang fordert der lange Tag auf dem Sattel doch seinen Tribut von den Gesäßmuskeln. So freuen wir uns sehr, als Saratoga in der Dämmerung am Horizont auftaucht und wir das Hotel Wolf im Zentrum der Westernstadt erreichen.

Kurz vor dem Etappenziel Saratoga erleben wir diesen Sonnenuntergang
Abendstimmung vor Saratoga

Es herrscht ein fröhliches Treiben rund um das Hotel Wolf, das auch kulinarisch den Dorfmittelpunkt darstellt. Es ist die bislang mit Abstand günstigste – aber trotzdem nicht günstige – Bleibe auf unserer Reise durch Amerika, doch keineswegs die schlechteste. Das Haus hat Charme und unser Zimmer gefällt sehr gut. Dazu verwöhnt uns die Küche einmal mehr, dem Motto von Wyoming entsprechend, mit vorzüglichem Steak von frei gehaltenen Rindern. Nach dem Essen, es ist bereits nach zehn Uhr, unternehmen wir noch einen Spaziergang zu den heißen Quellen, die tatsächlich im Schummerlicht rund um die Uhr geöffnet und auch noch rege besucht sind. Drei Becken bieten mehr oder weniger schwefeliges Wasser von 40 bis 46 Grad. Letzteres ist nicht auszuhalten, doch die anderen Becken laden zu einem längeren Bad ein. Das bringt den Kreislauf so weit runter, dass wir anschließend eine sehr erholsame Nacht verbringen. Auf dem Weg zurück zum Hotel bescherrt uns die Dunkelheit ohne Lichtverschmutzung einen 1a-Sternenhimmel, der die Milchstraße ganz deutlich hervorhebt – Romantik pur!

Das Hotel Wolf – Mittelpunkt von Saratoga und eine tolle Bleibe mit guter Küche!

Am frühen Morgen ist das Wetter noch strahlend schön, aber auch sehr kühl. Bei nur 6 Grad fahren wir los. Es sind knappe 250 Kilometer bis zum Nationalpark, und wir wollen diesen noch vor der angekündigten Wolkenfront erreichen. Nach 70 Meilen zwingt uns die Kälte zu einer Frühstückspause in Walden, wo wir in einem für Amerika untypischen, hübschen Café einen Super Cappuchino und warme Cinnamon Rolls bekommen – eine Köstlichkeit! Hier treffen wir Donna und Eric, ein Pärchen in unserem Alter, die ebenfalls mit dem Motorrad durch ihr Land reisen. Sie sind sehr an unserer Reise interessiert, und so entpuppt sich wieder einmal ein sehr interessantes Gespräch, das leider viel zu früh abgebrochen werden muss, denn wir wollen ja weiter zum Nationalpark.

Als wir Walden verlassen, zeigt sich bereits – früher als angekündigt – die Wolkenfront aus westlicher Richtung. Aber, und das war ebenfalls nicht angekündigt, dahinter sehen wir einen weiteren breiten blauen Streifen Himmels. Das gibt wieder Hoffnung! Über nette, kurvige Straßen erreichen wir gegen 11 Uhr Grandby, wo der Highway 34 zum Rocky Mountain National Park abzweigt. Wir schrauben uns über Grand Lake immer weiter in die Höhe und passieren den Parkeingang auf 2.500 Meter Höhe, wo wir zunächst über die großen Flächen abgebrannten Waldes erschrocken sind. Etwas weiter offenbart sich dann aber eine absolut phantastische Bergwelt mit tollen Wäldern. Besonders gefällt uns ein Nadelwald am Berghang, in dessen Mitte eine kleine Insel aus Laubbäumen im Indian Summer Look bunt heraus schimmert. Ein tolles Bild!

Am Eingang zum Rocky Mountain National Park
Inmitten des Nadelwaldes leuchtet eine kleine Insel aus Laubbäumen im Indian Summer Look

Der Nationalpark ist nicht besonders groß. Wir queren ihn über eine ca. 70 Kilometer lange Straße, die sich bis auf 3.700 Meter hinauf schlängelt. Im noch bewaldeten Teil unterhalb von 3.400 Meter tummelt sich so einiges an Wild zwischen den Bäumen. Da laufen uns mächtige Kaliber von Hirschen vor die Linse. Ob es wirklich Hirsche sind, wissen wir nicht, denn die Körper sind dafür zu massiv. Der Ami nennt sie Elk, doch mit den nordischen Elchen haben sie nicht viel zu tun.

Mächtiger „Elk“ im Dickicht neben der Straße

Auf 3.700 Metern verläuft der Highway für längere Zeit auf dem Grat der Rockies, wo uns ein heftiger Wind fast vom Moped fegt. Dafür liegt hinter jeder Kurve ein weiterer phantastischer Ausblickspunkt!

Blick von oben zurück zum Eingangstal des Nationalparks
Der Longs Peak mit 4346m der höchsten im Nationalpark
Blick auf die Abfahrt nach Estes Park, dahinter die Hochebene von Denver

Nach 4 Stunden im Park ist der Gutwettervorrat dann endgültig aufgebraucht. Über weite Serpentinen führt die Passstraße in sanfter Schräglage hinab nach Estes Park, wo wir eine Pause für einen Snack und zur Planung der heutigen Übernachtung einlegen. Kurz vor Estes Park dann noch ein schönes Wildlife-Erlebnis, als eine Herde junger Mule Deers (Maultierhirsche) unseren Weg kreuzt und diese vor meiner Linse beeindruckende Sprünge hinlegen – ein Traum!

Ein älteres Exemplar eines Mule Deers und links daneben nur das Geweih eines liegenden Kollegen
Mule Deers auf der Flucht – kennzeichnend sind die großen Ohren
Beeindruckende Sprungkraft – fast schwerelos!

Wir entscheiden uns für ein Hotel im 40 Meilen entfernten Boulder, NW von Denver. Boulder ist als schöne und lebhafte Universitätsstadt beschrieben, in der wir den für morgen angekündigten Regentag abwarten wollen. Gerade als uns die ersten Tropfen in Estes Park treffen, machen wir uns auf den Weg hinab in die Hochebene von Denver. Immer noch auf 1.600 Metern gelegen, wird es mit jedem Kilometer in Richtung Boulder spürbar wärmer, bis uns 30 Grad dazu bewegen, bei Ankunft in Boulder auch noch die letze Lüftungsöffnung unserer Anzüge zu öffnen. Wir checken im „University Inn“ ein und richten uns in einem ganz passablen Zimmer ein.

Boulder ist in der Tat ein ziemlich hübsches 100.000 Einwohner-Städtchen mit flacher Bebauung im Backstein-Westernstil. Es gibt sehr viel gute Gastronomie, schicke Einzelhandelsläden und viel junges Studierenden-Publikum. Aber, wie in allen Städten Kanadas und Amerikas bislang, zeigt sich auch hier ein großes Obdachlosenproblem! Den heutigen Tag verbringen wir mit einem Stadtbummel und mit der Erledigung von notwendigen Arbeiten: Wäschewaschen, Kette pflegen, Visier am Helm reparieren, etc. So ein Ruhetag hat auch was für sich! Der Regen setzt Mittags ein und soll bis morgen früh andauern.

Größtes Gebäude im Stadtzentrum von Boulder: Das Boulderado
Die Füßgängerzone von Boulder: Pearl Street
University of Boulder

Heute Abend essen wir in einem tadjikischen Restaurant, das im Tea House gelegen ist. Das Tea House entstand aus einer 1987 gegründeten Partnerschaft mit Dushanbe, der Hauptstadt Tadjikistans. Man war zur Hochzeit des Kalten Krieges davon überzeugt, dass man über den Austausch von Menschen der USA und der UDSSR zu einer friedlichen Lösung des Konflikts beitragen könne und hat deshalb die Städtpartnerschaft gegründet und viele Austauschprogramme iniziiert. Eines davon war die Errichtung des Tea House nach Plänen und unter der Anleitung tadjikischer Architekten mit Originaldekor, das aus Dushanbe geliefert wurde.

Morgen werden wir uns dann auf einer vorraussichtlich weniger schönen Etappe auf der Interstate 70 in Richtung Utah bewegen und in Grand Junction Station machen, bevor wir am Freitag über den Arches National Park nach Moab fahren, wo wir Brenda und Steve treffen werden, um mit ihnen die weitere Strecke durch die USA gemeinsam zu erleben. Steve ist schon seit drei Tagen auf dem Moped, einer BMW F800GS, von Cincinetti in Richtung Moab unterwegs, und Brenda kommt mit ihrem Mercedes Sprinter.

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