14 Raus aus der nassen Kälte

Wetterberichte müssen nicht immer Recht behalte. Das gilt im Schlechten wie im Guten! Heute morgen trifft letzteres zu! Hat es die ganze Nacht gekübelt, wie in einem schlechten amerikanischen Film, so gewährt mir der Blick aus dem warmen Bett durchs Fenster nun freie Sicht auf die Berge von Stewart. Das motiviert zum Aufstehen! Ich packe das saubergeregnete Moped, gönne der Kette mal wieder eine Schmierung und halte ein paar schöne Bilder von Stewart fest.

Mein Hotel Bayview in Stewart
Westernatmosphäre in Stewart
Freie Sicht auf die Berge – Hauptstraße von Stewart

Der Regen hat zwar einstweilen aufgehört, doch trotzdem packe ich mich voll ein, bevor ich Stewart in Richtung Meziadin Junction verlasse. Das erweist sich bald schon als weise Entscheidung, denn das kühle Nass empfängt mich schon 20 Kilometer hinter Stewart. Zuvor überquere ich den Stewart River, der aus den Wolken hervor dampft – ein gespenstischer Anblick!

Gespenstischer Stewart River kurz vor der Mündung in den Pazifik

Gefüllt mit den Bildern vom und den Erinnerungen an den tollen Nachmittag bei den Grizzlies nehme ich den Regen aber gar nicht war. Und schon in Meziadin Junction, wo ich den Tank fülle, erscheint die Sonne. Das bleibt eine gute Stunde lang so, doch 50 Kilometer vor Kitwanga erwischt mich dann die nächste Husche, und zwar kräftig! In Kitwanga ist’s dann wieder trocken, doch eine Analyse des Himmels macht mir die Entscheidung an dieser Kreuzung einfach. Soll ich gen Westen nach Prince Rupert, wo es apokalyptisch aussieht, um im Nassen an der Fähre anzukommen, dort möglicherweise gar nicht an Board zu können – online war die Fähre nämlich bereits ausgebucht – und wenn, die schöne Inside-Passage im Regen zu erleben – auch nur der halbe Spass – und dafür auch noch 400$ bezahlen? Oder doch lieber gen Osten – passt ja auch besser zum Titel des Blogs – wo der Himmel aufklart und warme Temperaturen locken?

Ein kurzer Smalltalk mit John aus Vancouver Island, der dort an der Tanke in Kitwanga, mit seiner 1986-er Goldwing steht und mir beim Aufbocken meines Mopeds hilft, bestärkt mich in der Entscheidung für die Ostvariante auf dem Landwege nach Vancouver Island über Prince George, vorbei am Frazer Lake, wo es sich toll campen ließe, so John. Das erweist sich schon eine Stunde später bei Smithers als gute Wahl. Der Himmel reißt auf und ich mir die Regenklamotten herunter. Das Thermometer klettert auf 24 Grad – so kann’s weiter gehen. Unterwegs passiere ich schöne Seen, in denen sich die Landschaften spiegeln.

Spiegelnde Landschaften in den Seen am Wegesrand

John sehe ich noch mehrere male. Er fährt zwar etwas schneller als ich, doch dafür hält er auch öfters an. Gegen Abend, schon nicht mehr weit vom Etappenziel Frazer Lake, entdecke ich ihn wieder im Rückspiegel, wo er verharrt, ohne mich zu überholen. So bleibt es, bis ich 20 Minuten später in Frazer Lake links zum Campground abbiege. Er hinterher. Also halte ich kurz an, und er gibt mir einen Zettel mit seiner Adresse und Telefonnummer. Ich solle doch anrufen, wenn ich nach Vancouver Island käme. Ich könne bei ihm Übernachten, Duschen und Wäsche waschen. Wow! Wieder so eine unglaubliche Begegnung! Ich bedanke mich und verspreche anzurufen. Er selbst will heute noch die 160 km bis Prince George fahren, sich dort ein Zimmer nehmen und schon morgen zuhause ankommen – was für ein Ritt! Ich sehe seine Rücklichter verschwinden und fahre zum Campground, gleich hinter den Bahngleisen, über die ich noch mehrere ewig lange Güterzüge mit Doppelstöckigen Containerwaggons fahren sehen werde. Das ist immer sehr spektakuläre!

Was für ein schöner Platz! Eine traumhafte Abendstimmung, die ich gleich festhalten muss, noch ehe ich mein Zelt nahe am Wasser auf weicher Wiese aufbaue.

Der Frazer Lake im letzten Sonnenlicht
Kitschige Abendstimmung am Frazer Lake
Trapper like: Zelt neben Pferd am See

Ich genieße den Abend am See sehr und entdecke zum ersten mal einen schönen Campground, der ganz regulär kostenfrei zu nutzen ist! Die Nacht ist angenehm warm, und der weiche Boden lässt mich nach längerer Zeit wieder auf die Isomatte verzichten. Auch am Mittwochmorgen hält es mich noch eine ganze Weile an diesem schönen Ort. Ich beobachte, wie ein kommunales Fahrzeug in der Nähe anhält, eine riesige Drohne auspackt und irgendetwas zum anderen Seeufer fliegt. Eine beachtliche Distanz von bestimmt drei Kilometern. Das ganze geschieht dreimal, ehe der Wagen wieder verschwindet. Das ist das 21. Jahundert!

Erst um halb elf begebe ich mich wieder auf die Straße. Die heutige Strecke ist eher reizlos. Das Wetter belibt schön, aber ansonsten ist’s ein Kliometerfressen ohne nennenswerte Erlebnisse.

Weite Planeien mit schneebedeckten Bergen im Hintergrund, südlich von Prince George

Ich schaffe bis zur Dämmerung gute 500 Kilometer. In Lac la Hache hoffe ich auf ein schönes Schlafplätzchen am Seeufer, doch irgendwie scheinen die Leute hier anders drauf zu sein, als ich es bislang gewohnt war. Ich finde mehrere Plätze, die infrage kommen, doch jedesmal wenn ich jemanden frage, ob ich hier wohl mein kleines Zelt aufbauen dürfe, wird mit brüsker Entrüstung gesagt, dass dies auf gar keinen Fall ginge. So trotte ich resigniert weiter und finde 30 Kilometer weiter in „The Hundred Mile House“ einen schnöden kommunalen Campground, auf dem ich mich bereits in der Dämmerung niederlasse. Dafür kommt zu später Stunde noch der Platzwart und kassiert die Campinggebührt – toll!

Gerne verlasse ich diesen Ort schon früh am Donnertstagmorgen in Richtung Cache Creek. Jetzt wird die Landschaft wieder interessant. Die ganze Gegend wird sehr trocken. Die Berghänge leuchten in einem Beige – unterbrochen von sehr vereinzelten Nadelbäumen. Das könnte hier auch gut Nordafrika sein.

Farben wie aus Afrika, das Frazertal vor Cache Creeke

In Cache Creek verlasse ich den Highway 97, die Hauptroute nach Vancouver, und biege auf eine Alternativroute, den Highway 99 ab. Auf kurvenreicher Straße erreiche ich das Örtchen Lilooet, das bei den Kanadiern ein beliebter Ausflugsort zum Wandern ist. Der Himmel wird dunstig, was für beständig schönes Wetter spricht. Der Frazer River, der mich schon seit langem begleitet, hat sich bei Lilooet tief in die Landschaft gegraben und wird hier für Straße und Bahn von gewaltigen Brückenbauwerken überspannt. Ich fühle mich gerade wie in einer anderen Welt! Das alles erlebe ich dazu auf total leeren Straßen.

Straßenbrücke über den Frazer River bei Lilooet
Eisenbahnbrücke über den Frazer River bei Lilooet

Hinter Lilooet geht es so richtig tief ins Gebirge hinein. Jetzt windet sich die Straße wild durch ein Gebirge, das den Alpen ähnelt. Whistler ist nicht mehr weit und die Wintersportwelt hat offensichtlich hier ihr Eldorado gefunden. Schneereste auf den Bergen, idyllische Bergseen voller schwimmender Baumstämme und Kurven ohne Ende, so präsentieren sich mir die Berge vor Whistler, in dem 2010 die olympischen Winterspiele ausgetragen wurden.

Alpenpanorama in West-Kanada! Man achte auf das viele Treibholz im See!
Whistler – Austragungsort der olympischen Winterspiele 2010

Whistler selbst ist zwar ganz adrett und gepflegt, aber ansonsten wie viele anderen Wintersportorte auch im Sommer. Ein wenig trostlos eben, aber es herrschen hier 30 Grad! Von Whistler sind es nur noch 110 km bis nach Vancouver. Die Straße wird deutlich mehr frequentiert und ist recht breit ausgebaut, um dem Winteransturm stand zu halten. Auf halber Strecke nach Vancouver wird es plötzlich spürbar kühler. Das muss der kalte Pazifikstrom sein. Und tatsächlich zeigt sich nur ein paar Kurven weiter der Pazifik in seiner ganzen Schönheit!

Der erste Blick auf den Pazifik von Whistler nach Vancouver kommend

Bei nur noch 22 Grad folge ich 30 Minuten lang der Pazifikküste, sehe die vielen großen Ozeanpötte schwimmen und erreiche dann rechter Hand die Horseshoe Bay, von der die Fähren nach Vancouver Island abgehen. Gut organisiert, werde ich durch beschilderte Gassen zum richtigen Schalter für meine Fähre geführt, zahle dort 50$ und darf sofort auf das Schiff fahren, dass schon bereit steht. Die Ausfahrt aus der Horseshoe Bay bietet schöne Photomotive und die 100-minütige Überfahrt gute Gelegenheit zum Schlafen!

Die Hafenausfahrt aus der Horseshoe Bay
Blick zurück von der Horseshoe Bay auf die Berge von Whistler

Ich rufe John an, um mich mit ihm für später zu verabreden, erreiche ihn auch, doch leider hat er die Einladung offensichtlich ohne Rücksprache mit seiner Freundin getroffen, und heute Abend sind sie gar nicht zuhause. Na gut, dann wird das nichts, war aber immerhin gut gemeint! Von einem Mopedfahrer auf der Fähre erhalte ich den Tipp, nach Qualicum Beach zu fahren. Das sind nur 45 km von Nanaimo, wo die Fähre anlegen wird. Dort lasse sich am besten ein Schlafplatz am Strand finden. Gesagt – getan!

In Qualicum finde ich schnell zum Strand. Und in der Tat führt eine Straße bestimmt 4 Kilometer entlang einer wunderschönen Strandpromenade, an der auch einige Camper stehen, die offensichtlich dort übernachten. Nur für ein Zelt sehe ich hier niergends einen geeigneten Platz. Ich fahre weiter in eine Wohngegend mit wunderschönen Wassergrundstücken. Alle öffentlichen Plätze sind dort mit Schildern „No over night parking and camping!“ versehen. Auch hier frage ich ein paar Leute, doch die Reaktion ist die vom Lac la Hache! Auf dem Weg zurück steuere ich einen kleinen Park noch vor der Strandpromenade an, der mir schon auf dem Hinweg aufgefallen war. Er ist sehr klein, hat zwei Boule-Bahnen und vier Piknik-Bänke. Am Ende stehen ein paar Büsche und dahinter geht es 1-2 m hinab zum Strand. Genau da finde ich schließlich meinen Traumplatz zum Übernachten. Zelt und Moped sind vom Park aus gar nicht zu sehen, so geschützt stehe ich da – direkt am Strand – Super!

1a Schlafplatz am Starnd von Qualicum in der Dämmerung
Blick vom Zelt aufs Meer

Wenn man mich lässt, werde ich hier drei Nächte stehen bleiben und ein wenig ausruhen. Die Tage seit Dawson City waren doch fahrtechnisch sehr anstrengend. Fast dreieinhalbtausend Kilometer, dovon viele auf Pisten und im Regen! Außerdem ist mein hinterer Reifen soweit runter gefahren, dass er dringend getauscht werden muss. Nach LA, wie ursprünglich geplant, hält der auf gar keinen Fall. Außerdem will ich Ariane ersparen, die Erfahrung aus Nordspanien im letzten Jahr zu wiederholen. Dort sind wir einige male auf abgefahrenen Reifen ins Rutschen geraten. Daher beschließe ich, nicht mehr zur Westküste von Vancouver Island zu fahren. Mit Steve spreche ich am Abend, und er will mit dem Honda-Händler in Vancouver sprechen, der ihm vor 4 Jahren dort die Maschine für den Flug nach Seoul vorbereitet hat. Die Honda Africa Twin hat das gleiche Reifenmaß wie meine KTM, hoffentlich bekomme ich dort Ersatz!

Ich verbringe eine sehr angenehme Nacht am Strand, begleitet vom Meeresrauschen! Kein Mensch nimmt Anstoß an dem einsam campierenden Mopedfahrer. Gegen Mittag treffe ich auf einer Parkbank, 10 Meter vom Zelt entfernt, Sheldon. Er ist um die 70 Jahre, kommt aus Victoria auf Vancouver Island und macht gleich nebenan in den Ferienhäusern Urlaub mit der Familie – Frau, Sohn, Schwiegertochter und 2 Enkel. Wir unterhalten uns zwei Stunden lang ganz prächtig, wobei ich mal wieder viel über Land und Leute erfahre. Er erstaunt mich mit seinem perfekten britischen English und seinem breiten Wissen über die europäische Geschichte. Seine Eltern sind aus England eingewandert, das erklärt es!

Nach dem Baden im Meer kommt Sheldon und lädt mich auf seine Terasse zu einem Bier ein. Dort lerne ich den Rest der Familie kennen – allesamt sehr nett und interessiert an dem seltsamen Deutschen, der ihnen ein Stück Abenteuer in die Stube bringt, das sie begierig aufsaugen. Zu guter letzt werde ich sogar eingeladen, in ihrem Ferienhaus eine heiße Dusche zu nehmen, was ich nicht ablehne! So vergeht der Tag im Fluge und ist spannend, wie die meisten Tage zuvor. Abends fahre ich ins Örtchen und versorge mich mit etwas zu essen. Dann ziehe ich mich auch schon bald ins Zelt zurück, denn es wird früh dunkel und dann empfindlich kühl. Auch diese Nacht ist wunderbar im Zelt und verläuft störungsfrei.

Der heutige Morgen? Ähnlich wie der gestrige: Ich bleibe lange im Zelt, bis die Temperatur annehmbar wird. Doch heute bläst ein heftiger, kühler Wind. Ich setze mich auf die Parkbank und schreibe Tagebuch. Sheldon taucht auf und fragt mich, ob ich am Abend noch dasein würde. Mary und er würden mich gerne zu sich zum Austernessen einladen – was sagst Du da? Ja gerne, natürlich! Er zieht von dannen und mir wird im Wind so kalt, dass ich in die Moipedklamotten steige und in den Ort fahre. Dort sitze ich gerade und schreibe mit dem WLAN des geschlossenen Visitor Centers vor dessen Tür auf dessen Bank diesen Blog. Und nachher geht’s zu Mary und Sheldon auf die Terasse zum Austernessen – was für ein Leben!

Morgen werde ich den schönen Zeltplatz schweren Herzens verlassen und wieder die Fähre zurück zur Horseshoe Bay nehmen. Dann geht es nach Vancouver zu Jane und Dough Knill, die Eltern von Amy, mit der Celine 2011 zusammen auf der West Vancouver Highschool war. Dort werde ich drei Nächte wohnen und an deren Besuch bei uns in Berlin vor ca. 6 Jahren anknüpfen. Wieder etwas, auf das ich mich freue!

2 Gedanken zu “14 Raus aus der nassen Kälte

  1. Uli schreibt:

    Hallo Wolfram, willkommen zurück in der Zivilisation. Dein Bericht über Alaska motiviert mich, den Plan eines Besuches nun auch mal umzusetzen. Spannend auf dem Weg nach Seattle ist die Besichtigung von Boeing in Everett. Weiterhin viel Spaß.
    Beste Grüße
    Uli

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