Der Weg vom Flughafen zur Aserbaidschanischen Grenze führt fast nochmal in die Stadt hinein und dann weiter auf bekannten Pfaden über Qazvin und Rasht an das Kaspische Meer. Es fühlt sich leer an, wieder solo unterwegs zu sein, aber irgendwie stecke ich auch voller Vorfreude auf die kommende Strecke, die für mich viel Neues bereit hält.
Kurz hinter Teheran – es setzt gerade die Dämmerung ein – verfinstert sich der Himmel und ich schaffe es noch knapp, eine Ausfahrt zu nehmen und die Regenklamotten anzuziehen, als es auch schon zu Kübeln beginnt. Sind die Iraner schon bei gutem Wetter schwierige Verkehrspartner, so sind sie bei Regen regelrechte tickende Zeitbomben! Und so überrascht es auch nicht, dass schon nach kurzer Zeit auf der Gegenspur eine Massenkarambolage entsteht. Ich spreche ein paar Stoßgebete und werde offensichtlich erhört. Nach 30 Minuten ist das Gewitter vorbei und ich noch heil im Sattel! Bis kurz vor Qazvin bleibt’s noch nass, doch dann kommt die Sonne durch.
In Qazvin will ich noch auf den Markt, um Curry zu kaufen, finde aber um kurz vor acht alles noch geschlossen vor. So suche ich das Hotel auf, in dem wir vor einer Woche übernachtet haben, weil es dort ein tolles Frühstück gibt. Der Hotelier erkennt mich sofort und fragt gleich nach meiner Frau. Das Frühstück darf ich anschließend nicht einmal bezahlen. Das sei für seine Gäste kostenlos, und ich sei sein Gast!
Ich kaufe noch den Curry und fahre dann bei schönstem Wetter zum Kaspischen Meer. Dort allerdings braut sich am westlichen Horizont ordentlich etwas zusammen. Kurz hinter Randar-Anzali beginnt es wieder zu regnen. Das brauche ich jetzt am Ende des Tages nicht mehr, denn ich habe eh bald eine Übernachtungspause geplant. Also kehre ich nach Randar-Anzali um und suche ein Hotel im Zentrum. Das einzige, das ich dort finde ist arg verkeimt und dabei nicht mal billig. Vor der Tür fängt mich Ali, ein junger Iraner ab und bietet mir sofort an, in seinem Haus zu übernachten. Ich habe heute aber keine Lust auf Unterhaltung und möchte viel lieber mit dem Blog und meinem Tagebuch aufholen. Also lehne ich das freundliche Angebot dankend ab und frage nach Hotelalternativen. Darauf bringt er mich zu einem Hotel direkt am Strand – und diesmal ist es sogar ein sauberer Strand! Hier bekomme ich ein Appartement direkt am Wasser, wo ich den Rest des Tages schreibend verbringe.
Am Abend holt mich Ali mit seiner Freundin Maide zum Essen ab, und wir verbringen einen schönen Abend zu dritt.

Mit Maide und Ali beim Abendessen

Mein Zimmerblick auf Strand bei Nacht

Und am nächsten Morgen bei Regen & Sturm
Die ganze Nacht über hat es wie aus Eimern geschüttet – die reinste Sintflut! Und so geht das noch den ganzen Montagmorgen weiter. Der gute Nebeneffekt: ich komme gut mit Blog und Tagebuch voran. Als ich schon fast beschlossen habe, eine zweite Nacht hier zu bleiben, lichten sich die Wolken ein wenig und der Regen hört auf. Es ist Mittag, also noch früh genug, um die 150 Kilometer zur Aserbaidschanischen Grenze zu fahren. Ich pelle mich also in die Regenklamotten – die Wetterlage bleibt nämlich instabil – und fahre noch mit dem einen oder anderen Schauer die Kaspische Küste nach Norden zum Grenzort Astara. Dort zieht der Himmel sogar auf, und die Sonne kommt zum Vorschein! Ein letztes Mal fülle ich den Tank komplett für 75 Cent – das wird ab jetzt wieder teurer!

Der Grenzposten Iran-Aserbaidschan
Die Grenze selbst ist ein wahrer Schweineposten. So etwas vergammeltes, verdrecktes und desorganisiertes habe ich an noch keiner Grenze erlebt! Am Eingang will man sofort mein Carnet de Passage sehen, was mich zunächst hoffnungsvoll stimmt. Aber dort wird es nur angeschaut – nicht bearbeitet! Ich müsse zum Transit Office, dort werde das Carnet gestempelt. Wo denn dieses Office sei? Das könne ich gar nicht verfehlen. Und ob ich das kann! Ich fahre ca. 500 Meter an Hunderten wartenden LKW vorbei durch Schotter und Matsch – es ist eine wahre Kraterlandschaft auf dem Grenzgelände – bis ich zum nächsten Gebäude komme. Dort schickt man mich wieder zurück, weil das Carnet noch nicht gestempelt ist. Wo es denn gestempelt werde? Na im Transit Office! Ja, wo ist denn dieses verfl… Transit Office? Es folgt eine unbestimmte Richtungsanzeige – das war’s! Ich fahre zurück, frage 5 Trucker, bis mir einer eine brauchbare Wegbeschreibung gibt. Das Transit Office liegt komplett versteckt und weit abseits der Warteschlange hinter einem LKW Parkplatz und ist mit keiner Kennzeichnung versehen. Aber jetzt bin ich endlich da! Drinnen finde ich Dutzende Schalter, aber nur einer ist besetzt. Er sei aber nicht das Transit Office und habe mit Carnets stempeln nichts zu tun, erklärt mir der gelangweilte Schalterbesetzer und verweist mich auf den letzten der unbesetzten Schalter. Wo denn der zuständige Stempler sei? Er habe keine Ahnung, aber um 17 Uhr sei er wieder zurück – es ist kurz nach 15 Uhr! Mir schwillt der Kamm! Nach 17 Uhr wird’s dunkel. Irgendwo müsse der Oberstempler ja sein, und wenn er irgendwo sei, dann könne man ihn doch wohl anrufen und her bitten, sage ich und bitte ihn, den Anruf zu tätigen. Er tut’s und 3 Minuten später wird mein Carnet gestempelt – Geht doch!
Dann zurück zum letzten Posten, wo ich jetzt sogar einen Tee bekomme und zwei Minuten später aus dem Iran entlassen werde. Beim Aserbaidschaner geht’s recht schnell, nur dass jeder Inhalt meiner Taschen gründlich inspiziert wird und ich danach quasi alles wieder neu einpacken muss. Egal – ich bin in Aserbaidschan! Und sofort begegne ich wieder dem mir so vertrauten postsozialistischem Charme der verfallenen Gebäude und ratternden Lada, Kamaz & Co.
Was hier sehr auffällt, sind die vielen Tiere auf der Straße. Diese teilt man sich mit Gänsen, Kühen, Schafen, Schweinen und jede Menge Hunde!

… und Weidetieren
Auch sind die Straßen gesäumt von Gemüse- und Fischständen.

Der Straßenrand gesäumt mit Obst-…

… und Fischständen….

… oder auch mal so …🤮
Vor Einbruch der Dunkelheit schaffe ich es gerade noch die 40 Kilometer bis Länkäran am Ufer des Kaspischen Meeres. Die Stadt hat kaum etwas zu bieten, aber ich finde ein passables Hotel und etwas zu essen – was braucht’s mehr?
Am Dienstag fahre ich weiter Richtung Gänçä. Die Strecke ist relativ öde, wobei linker Hand in der Ferne schöne, bewaldete Hügelketten den Weg säumen. Zum Mittagessen halte ich in Biläsuvar, einem gottverlassenen Nest, und werde dort von Djilid Goubarnikow angesprochen, ob ich denn französisch spreche? Er habe die Sprache gelernt, sei aber nie in Frankreich gewesen und auch sonst habe er kaum Gelegenheit die Sprache zu praktizieren. Ich lade ihn zum Essen ein, und er unterhält mich eine Stunde lang in aller bestem Französisch, dass es einen wundert, wie er das ohne Sprachpraxis gelernt hat. Er habe Balzac und Dumas gelesen, so sagt er mir stolz! Meine Fragen zum Leben in Aserbaidschan und zur Regierung beantwortet er mit auffallender – fast schon penetranter – Political Correctness, dass darin mehr non-verbale als verbale Antwort liegt. Wieder eine menschliche Begegnung, die mir noch lange in Erinnerung bleiben wird!
Danach bekomme ich seit dem Pamir-Highway zum ersten Mal wieder Schotter unter die Räder. Über 50 Kilometer ist die alte Sowjetstraße derart zerstört, dass vom Asphalt nichts mehr übrig geblieben ist. Kurz vor der Dämmerung erreiche ich Gänçä, eine schöne, alte Stadt, die vor langer Zeit schon mal Hauptstadt von Aserbaidschan war. Dort finde ich ein simples Hostel mitten in der Altstadt und kann mir diese bei nächtlicher Beleuchtung anschauen.

Altstadt von Gänçä

Gänçä Nachtperspektive
Am Mittwoch mache ich mich dann schnurstracks zur Georgischen Grenze auf, die noch 150 Kilometer entfernt ist. Gerade als ich 50 Kilometer vor der Grenze denke und mich freue, dass ich es wohl geschafft habe, dieses ebenfalls für seine korrupte Polizei bekannte Land ohne eine solche Erfahrung passiert zu haben, sehe ich hinter mir das Blaulicht und höre eine Ansage durchs Megaphon.
Also anhalten! Ich spüre sofort die unfreundliche Stimmung, als der Polizist keine Anstalten macht, auszusteigen und mich stattdessen mit einer Geste auffordert, mich zu ihm ins Auto zu setzen. Ich hätte einen LKW im Überholverbot überholt. Das habe ich nicht. Ich habe das Verbot aufmerksam wahrgenommen und mich – wie schon seit Einreise nach Aserbaidschan – pingelig an die Vorschrift gehalten. Ich habe mich lediglich nahe an der ununterbrochenen Linie bewegt, um an dem LKW vorbeischauen zu können. So weigere ich mich, einen Regelverstoß zuzugeben. Als ich auch meine Papiere nicht aus der Hand geben will, wird’s ihm zu viel, und er ruft seinen „Commander“ an, der kurz darauf angefahren kommt und übernimmt. Na, mit dem ist schon gar nicht gut Kirschen essen, erkenne ich sofort!
Er droht mit Führerscheinentzug, Stilllegung des Mopeds und sogar mit Arrest – das ganze Programm! Ich begreife die Hoffnungslosigkeit meiner Situation und biete ihm die 80 Dollar, die ich mit einem Griff aus der Tasche aus den 220 Dollar greife, die ich darin habe. Leider ein zu großer Griff, wie ich gleich an den leuchtenden Augen des korrupten Typen erkenne. Egal – die Situation ist entschärft und ich wieder in Bewegung. Nur noch raus aus dem Land! Ich kann denjenigen, die – wenn auch manchmal berechtigt – über unseren Staat schimpfen, nur einmal eine solche Situation wünschen und sie werden den Wert eines Rechtstaats zu schätzen lernen. Diese Art der Willkür auf der einen und Machtlosigkeit auf der anderen Seite ist schon schwer zu ertragen. Nicht dass es sowas bei uns gar nicht gäbe, doch nicht so allgegenwärtig wie in vielen der ehemaligen Sowjetstaaten!
Nicht nur wegen dieser Erfahrung, sondern insgesamt hat mich Aserbaidschan nur mäßig begeistert. So belasse ich es bei den zwei Tagen und lasse mir mehr Zeit für Georgien, das ich schon am Mittwoch mittags nach einem sehr unkomplizierten Grenzübertritt (20 Minuten) betrete.