37 Durch die Berge des Nordens und entlang des Kaspischen Meeres nach Teheran

Die letzten Etappen auf unserer gemeinsamen Tour durch den Iran verbringen wir im kühleren Norden des Landes. Von Qazvin fahren wir zunächst in das Alamuttal im Alborzgebirge 80 km NO von Qazvin. Die Fahrt durchs Gebirge auf kleinsten, gewundenen Straßen ist von wild-romantischer Schönheit. Die Farben der Berge leuchten in der Morgensonne, und aus den Tälern steigt der Frühtau auf.

Leuchtende Bergwiesen

Bunte Berge und Täler

Unterwegs treffen wir auf sonderbare Gefährte, sei es ein haushoch mit Stroh beladener Pick-Up oder ein Dreirad mit Passagieren im Chinesen-Outlook. Für die kurze Strecke brauchen wir zweieinhalb Stunden, und seit langer Zeit benutze ich mal wieder die äußeren Stollen der Reifen.

Kippmomente

Zwei Chinesen ohne Kontrabass

Um Zarabad – inmitten des Almuttals – ziehen wir mehrere Kreise, ehe wir von Azur, der Wirtin des Guesthouses, „gerettet“ werden. Die lange Suche wird mit einer total schönen Unterkunft belohnt. Wir genießen den Tee und ein leckeres Mittagessen auf der sonnigen Terrasse umgeben von Bergen und Wald – schöner kann’s kaum sein!

Auf der Terrasse des Seven Guesthouses

Im Seven Guesthouse in Zarabad

Es ist noch so früh am Tage, dass uns Zeit für eine Wanderung zum Ovan Lake bleibt. Nach den vielen Tagen auf dem Motorrad ist diese Art der Fortbewegung mal eine willkommene Abwechslung. 7 km geht’s überwiegend bergauf über eine verlassene Straße durch zwei Dörfer zum See. Auf dem Hinweg treffen wir zwischen den beiden Dörfern ein Ehepaar – etwas älter als wir – das gerade auf dem Weg zu ihrem Feld ist, um etwas Gemüse zu ernten. Die Frau beginnt sofort ein unverstandenes Gespräch mit Ariane und bekringelt sich vor Lachen über den ebenso unverstandenen Redestrom, mit dem mich ihr Mann überschüttet. Es ist egal! Denn es kommt auch ohne gemeinsame Sprachebene sofort eine warme Stimmung unter uns auf, und so manches verstehen wir doch. So wissen wir voneinander wieviele Kinder in welchem Alter wir haben, wo wir herkommen, wie alt wir sind, und noch so einiges mehr! Nur ihre Namen finden wir nicht heraus.

So gehen wir vielleicht 15 Minuten zusammen, bis die beiden zu ihrem Feld abbiegen. Knapp 2 Stunden später auf dem Rückweg will es der Zufall, dass wir uns an der gleichen Stelle wieder treffen und die gemeinsame Wegstrecke zusammen zurück laufen. Als wir Ihr Dorf erreichen, laden Sie uns zu sich nach Hause auf einen Tee ein, was wir mit Dank und Interesse annehmen. Ihr Haus ist klein und fast unmöbliert, dafür hat es wunderschöne Teppiche im Wohnzimmer und eine tolle, moderne und zum Wohnzimmer offene Küche. Darüber hinaus ist es blitzeblank sauber.

Wir sitzen gestützt von Kissen im Rücken – auf dem Teppich und es wird alles aufgefahren, was das Haus zu bieten hat: Kekse, Datteln, Weintrauben, Melone, Saft, Tee, etc. Anschließend wird der Neffe als Übersetzer telefonisch dazu geholt, um uns zu erklären, dass sein Onkel und seine Tante uns zum Abendessen und zum Übernachten mit Frühstück einladen wollen, dass sie ganz liebe Leute seien und wir diese Einladung ruhig annehmen könnten. Wir sind überwältigt von der Gastfreundschaft, müssen aber leider ablehnen, da man im Guesthouse bereits mit dem Essen auf uns wartet und es schon dämmert, wobei noch zwei Kilometer dorthin zu laufen sind.

Der Abschied ist sehr herzlich, und die beiden werden uns in toller Erinnerung bleiben. So wortlos und dennoch tief empfunden kann Gastfreundschaft funktionieren – irgendwie irre!

Ovan Lake

Esel-Karawane auf dem Weg

Unsere namenlosen Gastgeber

Zurück im Seven Guesthouse werden wir mit einem leckeren Fisch-Barbecue zum Abendessen verwöhnt. Die Ärztin kommt noch kurz zum Einsatz, als die Schwiegeroma von Azur unter Schmerzen von zuhause geholt wird, um sie zu nächtlicher Stunde über die gleiche Gebirgsstrecke ins 80 km entfernte, nächste Krankenhaus zu bringen. Ariane diagnostiert Gallensteine, verabreicht für die Fahrt ein paar Schmerztabletten und soll, wie wir am nächsten Tag erfahren, mit ihrer Diagnose Recht behalten.

Azur mit Töchterchen

Der Abschied von diesem gastfreundlichen Ort am Dienstagmorgen fällt schwer, denn wir hätten es gut ein paar Tage hier ausgehalten. Wir lassen Azur noch eine Nachricht auf Farsi für das nette Paar von gestern schreiben und legen diese mit einem Päckchen Lübecker Marzipan als kleine Dankesgeste an deren Haustür ab.

Über die gleiche Strecke fahren wir zurück nach Qazvin, ohne dass es deswegen langweilig wäre. Dann steuern wir Mazouleh – ein in den Hang gebautes Dorf à la Abyaneh – westlich von Rasht an. Dorthin sind es von Qazvin 200 ereignislose Kilometer auf Schnellstraßen. Nur einmal wird es interessant, als wir einen riesigen Stausee passieren, um den herum hunderte von Windrädern installiert wurden. Warum? Das erfahren wir leibhaftig, als wir von heftigen Windböen durchgeschüttelt werden, die meine Sozia kurzzeitig in Angst und Schrecken versetzen. Das ganze Windspektakel dauert nur wenige Minuten entlang des Stausees, dann ist alles wieder ruhig!

Als wir Fourman auf die letzten 35 Kilometer in das Sackgassental von Mazouleh verlassen, verfinstert sich plötzlich der Himmel. Die Wolken hängen sich tief ins Tal, und wir finden Mazouleh in einer deprimierenden Stimmung vor. Von der möglichen Schönheit des Dorfes in seiner Hanglage ist auch so gar nichts zu spüren. Hinzu kommt ein sehr unangenehmer Massenauflauf von Touristen und sehr aufdringliche Bauernfänger, die marktschreierisch ihre Hotelzimmer an den Mann zu bringen versuchen. So fahren wir einmal den Ort hinauf, stellen fest, dass das ausgesuchte Quartier nicht mehr existiert und beschließen, sofort diesem Ort wieder zu entfliehen. Es hat nicht einmal für ein Photo gereicht!

Zurück in Fourman, nehmen wir uns ein schönes Zimmer in einem schicken Hotel am Stadtrand, das inmitten einer Teeplantage liegt. Noch nie zuvor habe ich einen Teeanbau gesehen. Den Abend verbringen wir sehr schön im wuseligen Fourman, wo wir sehr nett zu Abend essen und Gefallen an den hier typischen Keksen mit Nussfüllung finden. Ich mache darüber hinaus noch die besondere Erfahrung eines Barbierbesuches mit dem Komplettprogramm aus Haarschneiden und Rasur – wusste gar nicht, wieviel Aufwand man darein stecken kann!

Blick aus dem Hotelfenster – Teeplantage

Am Mittwoch nähern wir uns endlich dem so spannungsvoll erwarteten Kaspischen Meer. So klangvoll der Name und so groß die Erwartungen auch sein mögen, die Ernüchterung beim Erreichen desselben ist noch viel größer!

Ich habe noch nie eine hässlichere Meeresküste erlebt als diese hier im Norden des Irans. Nur schwer lässt sich mal ein Zugang zum Strand finden, und dann sieht er so aus wie auf dem Photo. Müllhalden entlang des gesamten Ufers, trüb-braunes Wasser und Badestellen nach Geschlechtern getrennt! Die Frauen gehen in mehrlagigem Gewand baden- wie muss sich das anfühlen?

Vollgewandbad in der Brühe hinter Müll

Obwohl ich unbedingt am Kaspischen Meer Übernachten wollte, hält uns hier nichts mehr. Wir bevorzugen da sogar die Fahrt von der 28 Meter unter NN gelegenen Küste in den Süden in die tief wolkenverhangenen Berge. Erst erinnert die Strecke mit den schrill leuchtenden Imbissständen am Straßenrand allzu sehr an das Tal nach Mazouleh, doch nach 30 Kilometern erreichen wir eine Hochebene. Dort bricht die Sonne durch die Wolken und legt ringsum wunderschöne – zum Teil sogar frisch beschneite – Berge frei. Hier oben im Örtchen Hasan Kheif finden wir ein nettes Hotelzimmer und sind froh, der Müllküste entkommen zu sein. Beim Abendessen sehen wir dann den ersten volltrunkenen Menschen im alkoholbefreiten Iran, der zu allem Überfluss auch noch in seinen Wagen steigt, aber zu betrunken ist, diesen zu starten. So rollt er einfach auf die Straße, wo ihn ander wieder weg schieben – Sachen gibt’s!

Am Donnerstagmorgen steht dann die letzte Etappe auf unserer gemeinsamen Mopedtour durch den Iran an. Einmal quer durch das Alborzgebirge nach Teheran! Die Strecke ist ein wahrer Traum, und obendrein haben wir das Glück, dass sich am Beginn des islamischen Wochenendes der gesamte Verkehr aus Teheran heraus – also auf der Gegenspur – abspielt. Während uns dort also eine unendliche Blechlawine entgegen kommt, haben wir vollkommen freie Fahrt und können mal wieder Schräglage genießen.

Wunderschöne Bergwelt nördlich Teheran

So kommen wir schon kurz nach Mittag bei schönstem Wetter und 30 Grad in den Moloch von Teheran. Ich habe ja schon so manch chaotische Stadt – was den Verkehr betrifft – erlebt, doch so etwas wie hier in Teheran habe ich noch nie gesehen! Den Fahrstil kann man einfach nicht anders als „kriminell“ bezeichnen. Die Mopeds treiben das Chaos auf die Spitze, indem sie sich buchstäblich jeden Weg suchen – vorzugsweise im Gegenverkehr. Da hilft nur anpassen: 80% im Gegenverkehr kommen wir wohl mit erhöhtem Puls aber schlussendlich unversehrt – und das ist keineswegs selbstverständlich – an unserem Hostel mitten im Zentrum der Stadt an. Wir sind glücklich, es geschafft zu haben und uns nicht noch einmal in diesen Wahnsinn begeben zu müssen, denn am Sonntag werden wir schon um halb vier in der Nacht die Stadt gen Flughafen verlassen, und zu der Zeit ist der Verkehr selbst in Teheran ruhig.

Mopeds transportieren alles in Teheran

Versuch das Chaos im Bild festzuhalten

Von nun an bewegen wir uns in Teheran nur noch zu Fuß – auch nicht ganz ungefährlich – oder mit der U-Bahn, die übrigens aus dem Werk von Bombardier’s Joint Venture Partner in Changchun stammt, wo ich sehr viel Zeit meines Arbeitslebens verbracht habe.

Moderne U-Bahn-Züge aus Changchun

Das U-Bahn-Fahren ist übrigens sehr interessant, lassen sich dabei doch viele kuriose Dinge beobachten, wie die Frauenabteile, Warenverkäufe im Zug oder Imame auf dem Weg zur Arbeit.

Abgetrennter Frauentrackt im Zug

Imam auf dem Weg zur Arbeit

Wir verbringen zweieinhalb sehr schöne und unternehmungsreiche Tage in der iranischenHauptstadt, erleben diese neben aller Hektik auch recht entspannt und liberal und fühlen uns jederzeit sicher und wohl! Städtearchitektonisch ist Teheran nicht gerade berauschend, aber ein paar bestaunenswerte Objekte gibts schon, wie zum Beispiel die Tabiatbrücke. Diese ist vor vier Jahren als reine Fußgängerbrücke entstanden und überspannt ein weites Tal auf beeindruckende Weise.

Auch die Tatsache, dass inmitten dieser islamischen Kultur eine christlich-armenische Kirche ihren Platz findet, ist bemerkenswert. Sehr schön ist auch der Bazar.

Tabiatbrücke in Längssicht

Tabiatbrücke aus der Ferne

Armenische Kirche

Innenhof im Bazar

Shah-Palast

Besonders beeindruckt hat uns der vielerorts offen zum Ausdruck gebrachte Hass auf Amerika, wie beispielsweise hier in Überlebensgröße auf einer Häuserwand:

Down with the USA – überall zu finden!

Am Samstag gönne ich dem Moped ein letztes Mal auf dieser Reise einen Ölwechsel. Und am Sonntag ist die Nacht für uns um drei Uhr zu Ende. Wir trauen den Ohren nicht, als wir es draußen aus vollen Schleusen prasseln hören – das darf doch wohl nicht wahr sein – ausgerechnet jetzt, wo wir zum Flughafen (50 km) müssen. Doch zum Glück ist der Spuk gleich vorbei und wir fahren zwar auf nassen Straßen, aber ohne Regen, durch ein fast autobefreites Teheran zum Imam Khomeini Airport, der 50 Kilometer südwestlich der Stadt liegt.

Es bleibt uns nicht viel Zeit, uns zu verabschieden, denn ich darf nirgends parken, und so endet unsere gemeinsame Irantour recht abrupt, aber ohne allzu großen Schmerz, denn nun beginnt für mich die Rückfahrt, und in kaum 20 Tagen sehen wir uns schon wieder. Es waren tolle 18 Tage gemeinsam unterwegs in einem unglaublichen Land mit fantastischen Menschen!

Wobei ich den guten Rat meines Freundes Ralf beherzigen will, nicht den Fehler zu machen, zu früh in den Rückreise-Modus zu verfallen, sondern auch diesen Teil der Reise noch zu genießen.

Heute werde ich noch zum Kaspischen Meer zurück fahren und morgen nach Aserbaidschan einreisen, doch dazu mehr im nächsten Beitrag.

2 Gedanken zu “37 Durch die Berge des Nordens und entlang des Kaspischen Meeres nach Teheran

  1. Beate Christel schreibt:

    Lieber Wolfram,
    was für ein fantastischer Bericht, ich kann mir lebhaft dieses fremde Land vorstellen und erinnere mich an Einiges, was Behrooz erzählt hat nach seinen Reisen. Es war auch schön zu Arianes Reisebericht deine Fotos zu sehen- tolle Bilder&Eindrücke!
    Ich freue mich schon auf ein gemeinsames Treffen mit euch und Moni und Behrooz nach deiner Rückkehr!

    Dein Freund Ralf hat Recht- genieße die Eindrücke, die vor Dir liegen, es gibt bestimmt noch viele spannende Erlebnisse.

    Hab eine gute Zeit und eine trockene und gute Fahrt!

    Ganz liebe Grüße,
    Beate&Christian

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  2. tatjanaphysiogmxde schreibt:

    Привет дорогой Вольфрам , ты замечательно передал в своём сообщении все то что ты видел и что тебе особенно понравилось! Danke dir für die tolle Bilder und mitgeteilte Eindrücke , Erlebnisse, ich war wieder gedanklich dabei !!!! Du solltest auf jeden fall , die Reise bis zum letzten Kilometer genießen , wenn es auch zurück Richtung.nach Hause geht ! Ich freue mich sehr auf das Wiedersehen ! Bin auch bereit deine Muskeln , Knochen , Faszien wieder fit zu sortieren ! Liebe Grüße Tanja

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