Pamir bedeutet im Tadjikischen soviel wie „Dach der Welt“ und wie treffend dieser Begriff ist, soll ich in den kommenden Tagen an Leib und Seele erfahren. Am Montag, den 3. September verlassen wir Osh in Richtung Süden entlang des Flusses Olcho nach Sary-Tash, dem letzten Ort vor der Grenze zu Tadjikistan.

Ausfahrt aus Osh
Diese Strecke stellt bereits den kirgisischen Teil des Pamir-Highway dar. Nachdem die Vororte von Osh hinter uns liegen wird das Olcho-Tal sehr einsam. Der Fluss hat sich tief in den roten Sandstein gegraben und dominiert das Tal mit zahlreichen Stromschnellen. Linker Hand tauchen immer wieder interessante, rote Sandsteinformationen auf und dahinter ragen, schwarz die 5.000-er Berge in die Höhe.

Der Olcho-River beherrscht das Tal

Erzreiches Gestein sorgt für Farbe

Roter Sandstein vom Olcho ausgewaschen

Heutransport am Pass
Dann schließt sich das Tal und zwei Pässe um die 3.600m Höhe führen uns in ein riesiges Hochplateau, dessen Südflanke in geschätzten 20km Entfernung von schneebedeckten Bergen der 6.000m-Klasse begrenzt wird. Vom letzten Pass halten wir genau auf diese Begkette zu, die in der Spätnachmittagssonne hinter einem Dunstschleier rot glühen – was für ein Anblick! Und gleich am Anfang des Plateaus endet der Pass im Örtchen Sary-Tash, dass im wesentlichen aus einer Tankstelle, zwei Lädchen und einigen Dutzend Häusern – darunter ein paar Homestays – besteht.

Serpentinen zum Pass vor Sary-Tash
Wir wählen das erste neben der Tankstelle und treffen dort auf Andi, Leonie und Florian – drei supernette Velofahrer aus der Schweiz, die in Gegenrichtung unterwegs sind und den Pamir-Highway gerade bezwungen haben. So können wir wertvolle Infos austauschen, die uns auf dem weiteren Weg noch nützlich sein werden.

Andi, Florian, Steve und Leonie vor dem Homestay
Die Räume im Homestay sind hier auf 3.200m derart saukalt, dass es nachts selbst im Schlafsack gerade mal so eben angenehm wird. Das Plumsklo liegt – über eine wackelige Treppe aus LKW-Reifen erreichbar – weit unten auf dem Grundstück. Ich hoffe inständig, dass ich dort heute Nacht nicht hin muss!
Der Schlaf in dieser Höhe ist mir nur in kleinen Etappen möglich. Dementsprechend gerädert wache ich am Dienstagmorgen auf. Wir tanken die Mopeds nochmal voll und tauschen die verbliebenen Som im Lädchen in tadjikische Somoni um. Dann halten wir auf die schneebedeckte Bergkette zu und verschwinden darin in einem Bergeinschnitt, der nach 25km zum kirgisischen Grenzposten führt.

Straße zum kirgisischen Grenzposten

Niemandsland zwischen den Grenzposten
Es herrscht gerade Mittagspause als wir dort ankommen. Man bedeutet uns, die Schuhe auszuziehen und hereinzukommen, um auch in die Schüssel mit Reis und Schafsfleisch zu greifen. Die Höflichkeit gebietet zwei, drei winzige Griffe, mehr will ich meinem Magen nicht zumuten! Dann erbarmt sich ein Zöllner, uns abzufertigen. Er verlangt 500 Som nachträglich für die Einfuhr der Mopeds nach Kirgisistan, was mir unrechtmäßig erscheint. Auch will er die Zolldeklaration haben, die wir am Russischen Zoll bei der Ausreise aus der Mongolei ausgefüllt haben. Zum Glück haben Steve und ich diese beide noch nicht weggeworfen. Da Kasachstan und Kirgisistan eine Zollunion mit Russland haben, muss diese Deklaration bis zum Verlassen dieser Union aufbewahrt und dort abgegeben werden, nur dass einem dies niemand zuvor gesagt hat! Ohne dieses Papier hätte es keine Ausreise nach Tadjikistan gegeben – Puh, Glück gehabt! Anschließend werden noch die Pässe gestempelt und dann werden wir ins Niemandsland entlassen. Auf 20km führt uns eine Piste, für deren Unterhalt offensichtlich niemand zuständig ist, zum Grenzpass auf 4.290m Höhe. Die Auffahrt hat keinerlei Serpentinen und verläuft dementsprechend steil. Kurz hinter dem Pass liegt der tadjikische Grenzposten. Dieser ist ungleich spartanischer eingerichtet als der kirgisische. Einfache Container dienen hier zugleich als Amtsstuben und als Wohnstätten. Daher ist vor Betreten stets Schuheausziehen angesagt!
Drei Stationen sind dabei zu durchlaufen. Zuerst werden die Visa kontrolliert und die Pässe gestempelt, danach stellt ein sogenannter Doktor drei Dokumente aus , die mich gesund erklären (ohne jegliche Form einer Untersuchung!), und verlangt dafür 15.-US$. Diese hätte ich nicht zahlen sollen, wie ich später erfahre, das ist nämlich ein einziger Fake! An der Station drei erfolgt die zolltechnische Einfuhr der Mopeds für rechtmäßige 10.-US$ je Moped. Nach knapp zwei Stunden sind wir durch.

Blick zurück zum Tadjikischen Posten
Noch nie habe ich ein Land in einer solch spektakulären Kulisse betreten. Umringt von schneebedeckten Bergen, auf fast 4.300m Höhe empfängt uns Tadjikistan 🇹🇯 abseits jeglicher Zivilisation mit Sonne, 7 Grad und unberührter Natur – wenn man mal von der Piste und dem chinesischen Grenzzaun absieht. Letzterer ist grottenhässlich, verrostet und begleitet uns auf den kommenden 150km permanent zur Linken.

Nach einer knappen Stunde taucht zur Rechten der Karakulsee auf. Blau und glatt liegt er mit 230 qkm Größe mitten im Hochplateau, gesäumt von schneebedeckten Bergen. Außer dem kleinen Dorf Karakul gibt es absolut nichts an diesem riesigen See. Die Farben der Ufersteppe kontrastieren so schön mit dem Blau des Wassers, dass es fast kitschig ist.


In Karakul machen wir für heute Station. Wir finden das Sadat Homestay und werden dort von der netten und gut Englisch sprechenden Dame des Hauses äußerst freundlich aufgenommen.

Leider haben wir beschlossen, keine Verpflegung in den Homestays oder am Streckenrand zu nehmen, denn ausnahmslos alle Radfahrer, die den Pamir gefahren sind, berichten von schweren Magenproblemen mit mehrtägiger Bettlägrigkeit, und dafür ist der Zeitplan bis zu Ariane’s Ankunft im Iran zu knapp! Somit verbrauche ich nach und nach die Beutelsuppen, die ich seit über vier Monaten durch die Welt fahre, die ich aber wegen der guten Versorgung am Wegesrand nie gebraucht habe.
Auch diese Nacht schlafe ich sehr schlecht, wobei mir die Höhe ansonsten keinerlei Probleme bereitet. Für Steve gilt das bedauerlicherweise nicht. Er fühlt sich nicht gut. Am Mittwochmorgen warten wir, bis die Sonne die Nachtkälte besiegt hat und fahren dann auf den höchsten Pass auf der gesamten Pamirroute, dem 4.655m hohen Ak-Baltai-Pass . Der Anstieg ist unspektakulär, beginnt er doch auf 3.900 Metern. Doch der Ausblick vom Pass auf’s nächste Tal ist schon besonders.


Nach einer langen Passabfahrt unter wolkenverhangenem Himmel taucht in der Ferne Murgab auf – eine seltsame Siedlung entlang der Pamir-Piste mit einem bedeutenden Bazar. Dort finden wir eine Bank, die uns Dollar in Somoni tauscht und auf dem Bazar einen Megafon-Shop, der uns lokale SIM-Karten verkauft.

Zum Verweilen lädt dieser Ort allerdings nicht ein, deshalb füllen wir nur noch die Tanks und fahren dann weiter. Das Tanken ist eine Erfahrung für sich. Aus einem großen Fass wird Sprit in einen Eimer gepumpt, der zwar eine 10-Liter-Prägung trägt, dem man aber einen Ausgussschnabel verpasst hat, der ihn vielleicht gerade noch bis 9 Liter füllen lässt. WAS einem da eingefüllt wird (sprich wieviel Oktan) und WIEVIEL, das bleibt am Ende eine Glaubensfrage. Und was da sonst noch alles mit im Tank landet, will ich gar nicht wissen. Ich bezahle am Ende für 9 Liter und der Tankwart zeigt sich mit einem schelmisch-wissenden Lächeln einverstanden.

Rund 100km sind’s jetzt zum nächsten Dorf Alichur. Die Strecke führt über ein Hochtal auf 3.200m Höhe und ist in gut zwei Stunden zu schaffen. Der Himmel über den linksseitigen Bergen zieht sich bedrohlich dunkel zu. Das soll wohl nicht ungewöhnlich sein, doch Regen bedeutet es nicht, denn den gibt es um diese Jahreszeit so gut wie nie.



Heute treffen wir besonders viele Radfahrer, die mit Abstand die häufigst anzutreffenden Reisenden auf dem Pamir-Highway sind. Mopedfahrer gibt es nur wenige und Autotouristen so gut wie gar keine. Selbst begeisterter Fahrradreisender, kann ich nur den größten Respekt für die Radfahrer aufbringen, denn in dieser Höhe und auf diesem Untergrund ist das Radfahren eine geradezu unmenschliche Tortur. Und dann sind die Räder auch noch unglaublich schwer beladen. Die haben allesamt viel mehr Gepäck dabei als ich – also für mich wäre das nichts!

In Alichur wählen wir – wieder auf Empfehlung der drei Schweizer Radfahrer – das Homestay Shukrona. Rachima – pensionierte Lehrerin der Schule von Alichur – wohnt hier mit Ehemann und namenstiftender Tochter Shukrona (14), die hier zur Schule geht und später gerne im Ausland Medizin studieren will. Rachima spricht sehr gut Englisch und erklärt uns das Leben in Alichur. Ihre beiden großen Töchter sind verheiratet, haben beide studiert und leben in Dushanbe und in Moskau. Der Ehemann ist für 15 Tage in den Bergen, wo er Heu bündelt und für den Transport nach Hause vorbereitet, damit die Versorgung der Kühe im Winter im Stall gewährleistet ist.
Rachima ist untröstlich, dass Sie uns nicht verpflegen kann, doch wir bleiben konsequent, um Magenproblemen keine Chance zu geben. Sie bereitet aber heißes Wasser für die Beutelsuppe und für meinen eigenen Brennesseltee.
Steve geht es mittlerweile richtig dreckig. Noch immer ist nicht klar, ob es die Höhe oder nur der Magen ist. Er beschließt jedoch, dass er morgen direkt über den Pamir-Highway die 200 nach Khorog fahren wird und dort zwei Tage in der Pamir-Lodge ausruhen und auf mich warten wird, während ich für drei Tage alleine den Warkhan-Korridor zwischen Pamirgebirge und Hindukusch entlang der afghanischen Grenze bereisen werde.