Ist es ausgleichende Gerechtigkeit für die übertrieben schönen letzten Tage, oder einfach nur Glück dass es nicht oben in der Wildnis des Song-Köl passiert ist? Man kann es sehen, wie man will.
Noch am Abend der Abfahrt von Song-Köl über den tollen Serpentinenpass fahren wir von Kochkor über eine sehr harte und staubige Piste über den Kyz-Art-Pass. Wir befinden uns quasi auf der Rückseite der nördlichen Berge von Song-Köl nur 20km Luftlinie vom See entfernt. Gefahren sind wir dafür aber über 200 Kilometer!

Auf dem Weg nach Kockkor

Islamische Gräber vor Kyz-Art

Kyz-Art versteckt hinter den Bäumen
Nach der Passabfahrt springt die Maschine nur noch zögerlich an, was mich sehr beunruhigt, weil ich doch ohne Licht unterwegs bin und somit kaum Strom verbraucht habe. In Anbetracht der Schlafplatzsuche verdränge ich erstmal das möglicherweise aufkommende Problem. Hinter Kyz-Art finden wir dann ein Gästezimmer bei einer sehr netten Familie mit vielen kleinen Kindern. Es gibt saubere Betten, ein Plumsklo im Garten und – anstelle einer Dusche – eine russische Banja. Das ist auch mal eine tolle Erfahrung! Am Abend werden wir lecker bekocht und zahlen am Donnerstagmorgen nach einem warmen Frühstück gerade mal knapp 9€ für Kost und Logie.
Beim Losfahren springt das Moped erstmal gut an, was mich ein wenig beruhigt. Wir wollen heute knapp 300km – davon die Hälfte off-Road – bis nach Toktogul, wo ich uns mit Laure und Fabien verabredet habe. Zur Erinnerung: Das ist das Pärchen aus den französischen Alpen, mit denen ich Ende Mai 10 Tage gemeinsam in der Baikalsee-Region unterwegs war. Ich freue mich schon sehr darauf, die beiden mit ihrem riesigen Schäferhund Flash wieder zu sehen, denn die Zeit mit ihnen vor mittlerweile bereits 3 Monaten habe ich in sehr angenehmer Erinnerung!
Nach 60km zweigen wir auf eine sehr grobe und staubige Piste entlang eines Canyons ab. Die Strecke ist wild-romantisch, aber auch vollkommen einsam, und da tut es überhaupt nicht gut, nach 15km die Amarturen und das Display zeitweise aussteigen zu sehen! Shit, nun scheint kein Zweifel mehr möglich: Ich habe ein Problem mit der Batterieladung! Nach weiteren 10km bleiben alle Instrumente dauerhaft tot, und nochmal 5km später fängt der Motor an zu sprotzen. Na, jetzt wird es wirklich spannend! Ich fliege viel zu schnell über die schlechte Piste, denn ich möchte in den noch verbleibenden Minuten – oder sind’s gar nur noch Sekunden? – so viel Strecke machen wie möglich. Steve habe ich dabei schon lange aus dem Rückspiegel verloren, doch er weiß Bescheid. Die Sprotzerei wird immer schlimmer, und dann taucht wie gerufen ein Haus am Pistenrand auf, und davor schraubt jemand an seinem schrottreifen Uralt-Lada herum. Toll! So jemand hat sicherlich ein Ladegerät im Haus! Ich halte an, und der Motor erstirbt. Danach ist alles tot. Am Krad tut sich rein gar nichts mehr!
Ein Ladegerät habe er nicht, doch er würde eines besorgen können, teilt mir der freundliche Ladafahrer mit. Danach verschwindet er für eine halbe Stunde und ward nicht mehr gesehen. Als er wieder auftaucht ist von einem Ladegerät nichts zu sehen. Meine Batterie ist auf 9 Volt tiefentladen – ein Wunder, dass die Zündung bei der Spannung überhaupt noch funktioniert hat. Als Alternative zum Ladegerät bietet er mir an, meine Batterie an seine zu hängen und bei laufendem Motor zu laden. So machen wir das!

Fachmännische Diagnose (Photo Steve)
Ein Lampenkabel wird in seine Adern zerlegt und zum Überspielkabel umgewidmet. Die Polklemmen der Lada-Batterie sind so verschmolzen, dass sie nur noch locker um die Batteriepole schlackern. Unter schmorenden Polklemmen, die zu Silvester auch die Wunderkerzen ersetzen könnten, wird nun meine Batterie ganze 45 Minuten lang „geladen“. Alles Normaaaaaalna hier!

Schrott-Lada als Saftspender (Photo Steve)
Erstaunlich genug, springt der Motor danach mühelos an und bleibt quicklebendig – mit funktionierenden Instrumenten – bis wir 40km weiter das Dorf Suumayr erreichen. Hier gibt es keinen Auto-Service, was selbst in einem Dorf in der Pampa ungewöhnlich ist! Am Dorfausgang sehe ich rechterhand ein Grundstück, auf dem einige demontierte Autos herumstehen – offensichtlich das Haus eines Schraubers. Das riecht nach Ladegerät! Angesichts der bevorstehenden 90km ohne jegliche Zivilisation und der sehr geringfügig Batterieladung durch den Lada, will ich nicht weiterfahren, ohne die Batterie vollständig geladen zu haben, obwohl die Batterie im Moment noch hält.
Die Verabredung in Toktogul ist eh gestorben, so rufe ich Laure und Fabien an, um abzusagen – Sehr, sehr schade! Die beiden müssen Übermorgen nach Usbekistan ausreisen, somit ist da auch nichts zu verschieben. Danach frage ich auf dem Grundstück nach einem Ladegerät. Ja, sagt mir Ismael, der gerade einem alten Golf neue Antriebswellen implantiert, er habe ein Ladegerät, doch Strom gäbe es erst wieder ab 18 Uhr – es ist 14 Uhr – Himmel nochmal! Ob wir denn hier übernachten könnten, frage ich, und erhalte einen bejahenden Fingerweis auf eine heruntergekommene Jurte im Garten.

Ismael implantiert einem Golf Antriebswellen

Gartenjurte bei Ismael (Photo Steve)

Innenansicht der Jurte (Photo Steve)
Wir richten uns in der Jurte ein und legen uns im Schlafsack auf die rostigen Bettgestelle, die mit verkeimten Teppichen bedeckt sind – Augen zu und durch! Dann warten wir auf 18 Uhr. In der Zwischenzeit freunden wir uns mit den Kindern des Hauses an, von denen nur das Mädchen Zaira im schulpflichtigen Alter scheint. Auch sie, so erzählt sie stolz, gehe im 160km entfernten Bishkek zur Schule – ein weiteres Beispiel für den Stellenwert, den Bildung hier heutzutage hat!

Zaira mit Geschwistern (Photo Steve)
Auch zapfe ich mal wieder meine sachverständigen Freunde Andi, Guido und Christian in der Heimat an, um die Optionen auszuloten. Es läuft mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen neuen Stator für die Lichtmaschine hinaus. Doch sind zuvor noch ein paar Messungen erforderlich, um diese Diagnose abzusichern.
Dann wird es 18 Uhr und Ismael verkündet die frohe Botschaft, der Strom sei da. Als ich dann das Ladegerät sehe. trifft mich im wahrsten Sinne des Wortes fast der Schlag! Ein rauchendes und röhrendes Etwas wird mit meiner Batterie verbunden. Die hauchdünnen Ladekabel fangen an zu rauchen und werden knallheiß. Ein Voltmeter zeigt 70 Volt – wohl nicht Dein Ernst, denke ich und Messe dann 11 Volt Ladespannung. Das ist weniger als die aktuelle Spannung der Batterie!

„Ladegerät“
So wird das nichts! Entnervt löse ich die Ladekabel und frage Ismael, ob er ein besseres Ladegerät besorgen könne, was dieser sofort bejaht und zum Telefon greift. In 5 Minuten solle ein gutes Ladegerät kommen, versichert er mir gleich darauf. Auch nach 15 und 30 Minuten bleiben es immer fünf Minuten, bis das Gerät kommt. Nach knapp einer Stunde spüre ich die Panik in mir, hier nur meine Zeit zu verschwenden, ohne auch nur eine Ampère-Stunde weiter zu kommen. Doch dann kommt endlich ein Freund des Hauses und bringt ein Ladegerät, dass zwar auf den ersten Blick auch nicht besser aussieht, das sich aber beim Laden als ganz brauchbar herausstellt und mit konstanten 3 Ampère lädt. Um kurz vor Mitternacht ist die Batterie dann vollständig geladen und ich kann beruhigt schlafen gehen. Die Nacht wird sehr kalt. Um 9 Uhr ist die Batterie eingebaut und das Moped gesattelt. Da ich davon ausgehe, dass ich eine neue Lichtmaschine brauche, wird die Reiseroute kurzerhand auf Bishkek umgeleitet. Dort wollte ich eigentlich gar nicht hin, doch jetzt brauche ich eine DHL Station und eine möglichst kurze Fahrstrecke.
Mit der vollgeladenen Batterie schaffe ich denn auch ohne Probleme die 160km nach Bishkek, die zum Teil auf Schotter und über den spektakulären Too-Ashuu-Pass führen. Unangenehm ist ein enger, unbeleuchteter Tunnel oben am Pass. Diesen muss ich ohne Licht mit viel Staub und Gegenverkehr 3,5 km auf losem, unsichtbaren Untergrund durchfahren – nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig!Leider habe ich für die traumhafte Landschaft kaum einen Blick übrig – zu sehr bin ich auf das zügige Vorankommen konzentriert und habe zudem seit gestern noch ein weiteres technisches Problem mit der Leerlaufsteuerung. Bei der Demontage des Luftfilterkastens ist mir nämlich gestern ein Schlauchstutzen abgebrochen, der offensichtlich irgendwann in der Vergangenheit schon einmal jemandem in der Werkstatt abgebrochen ist und dann nur liederlich angeklebt wurde. Vielen Dank auch!
In Bishkek nach 3,5 Stunden sorgenvoller Fahrt angekommen, steuern wir auf Memo’s Empfehlung das Asianmountain 2 Hostel an, das zwar etwas über unserem normalen Standard liegt, das aber nur 30 Meter von der ebenfalls durch Memo empfohlenen Werkstatt entfernt liegt. Dort treffe ich Vlad, der mir auf Anhieb sympathisch und vertrauenserweckend ist.
Ich führe als erstes die Messung durch, die mir abschließend bestätigt, dass tatsächlich die Wicklungen des Stators der Lichtmaschine fratze sind. Andi ist so lieb, mir den Stator gleich online zu bestellen. Dieser wird dann voraussichtlich am Montag bei Ariane eintreffen, damit sie ihn dann gleich per DHL-Express nach Bishkek weiter schicken kann. Mit etwas Glück halte ich ihn dann zum kommenden Wochenende in den Händen. Der Einbau – verbunden mit einem Ölwechsel dauert vielleicht 2 Stunden. Dann wird es aber auch für die weitere Reise recht knapp. Am 22. September muss ich aus Usbekistan nach Turkmenistan einreisen. Für Usbekistan hätte ich gerne eine Woche und für den Pamir-Highway von Osh nach Dushanbe auch gerne 10 Tage. 2 Tage von hier nach Osh – da darf nicht mehr viel schief gehen. Für Steve ist der Pamir-Highway damit schon nicht mehr zu machen. Er wird seine Partnerin am 10. Oktober in Florenz treffen und muss etwa einen Monat zuvor nach Usbekistan einreisen. Wenn es beim nächsten Wochenende mit der Abreise aus Bishkek klappt, dann werden wir noch gemeinsam bis kurz vor die tadjikische Grenze nach Sary Tash fahren und uns dort trennen. Momentan liegt er aber angekränkelt im Bett und weiß das komfortable Hotelzimmer zu schätzen.
Gestern und heute habe ich mit Vlad viel Zeit darauf verwendet, das Problem mit der Leerlaufsteuerung zu beheben. Den abgebrochenen Stutzen am Luftfilterkasten haben wir repariert, doch dann stellt sich ein Sensor im Luftkanal als weitere Störquelle heraus. Dreimal schon haben wir ihn ausgebaut, gereinigt und geölt. Immer hat es kurzfristig funktioniert, doch spätestens auf der nächsten Probefahrt stirbt der Motor im Leerlauf ab. Wir sind mit dem Latein am Ende. Das Problem wird mich zwar nicht an der Weiterreise hindern, aber es ist mehr als lästig im Stadtverkehr! So werde ich während der Wartezeit auf den Stator noch genug anderes am Moped zu tun haben, und Vlad ist mir dabei eine große Hilfe. Heute hat er mich auf einer Probefahrt in die Berge südlich von Bishkek in ein Skigebiet geführt. Leider beginnt es dort zu regnen, doch die Landschaft kann selbst wolkenverhangen ihren Reiz nicht verbergen.

Piste ins Skigebiet südlich von Bishkek

Tiefe Regenwolken über dem Skigebiet

Skihang mit Lift
In der kommenden Woche müssen drei Dinge geschehen: Erstens muss das Leerlaufproblem gelöst werden, dann das DHL-Paket pünktlich kommen und schließlich sind an Steve’s Twin noch die Reifen zu wechseln. Da hilft jeder gedrückte Daumen!
Lieber Wolfram,
seit nunmehr 4 Monaten lese ich Deinen Blog und jedes Mal bin ich so geplättet, dass ich Nichts kommentieren kann. Bin sprachlos. Nur erstaunt. Geplättet. Hilflos. Gespannt wie’s weitergeht, als wenn Du es genau wüsstest, wie in einem Buch, mal paar Seiten vorblättern, und jetzt erneut bewegende Eindrücke.
Was auch passiert und wie bisher: ich drücke alle Daumen die mir zur Verfügung stehen!!!
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