25 Song Köl – ein surreal schöner See auf 3.000 Metern

Tja, dort wo ich diesen Beitrag gerade schreibe, wollte ich eigentlich gar nicht sein – nämlich in der kirgisischen Hauptstadt Bishkek! Mein Moped verordnet mir nämlich mal wieder eine Zwangspause an einem Ort mit guter Infrastruktur – vor allem mit einer DHL-Express Station. Diesmal ist es die Lichtmaschine, die den Geist aufgegeben hat, aber dazu mehr in Kürze in einem eigenen Beitrag!

Vor der erneuten technischen Herausforderung haben wir nämlich tolle Tage im Norden Kirgistans erlebt. Da wir auf Steve’s Handyreparatur warten müssen, bleiben wir zwei Nächte in Balychky und nutzen den Sonntag für einen Tagesausflug in das Chong-Kemin-Tal nördlich der Stadt.

Baufällige Brücke über den Chong Kemin

Das Tal zweigt nordöstlich von der Hauptstraße nach Bischkek ab. Dort ist es noch sehr weit und landwirtschaftlich genutzt. Weiter oben wird es zum Schutzgebiet, was sich an einem Schlagbaum in barer Münze auszahlt.

Ende der Besiedelung

Imker im Chong-Kemin-Tal

Danach wird es einsam und steil. Nicht einmal Nomaden sind hier oben anzutreffen. Die schwierige Auffahrt wird dann auf 2.700m Höhe mit einem verträumten Angelsee belohnt, an dem sogar etliche einheimische Familien beim Picknick anzutreffen sind.

Angelsee auf 2.700m

Der gleiche See – Bergblick

Auf dem Rückweg nach Balychky habe ich einmal mehr das Vergnügen mit den freundlich-korrupten Polizisten. Angeblich soll ich 100km/h gefahren sein. Ich glaube, dieses Tempo habe ich auf der ganzen Reise noch nicht erreicht! Meine entsprechende Beschwerde und Rückweisung lässt den Freundlichen nur schmunzeln: „Na gut, dann zahlst du eben für Fahren ohne Licht!“ Das Video lässt da keinen Zweifel aufkommen. Wegen der häufigen Entladung der Batterie habe ich ja die H7-Lampe ausgebaut, um Strom zu sparen. Also geht es nur noch um das Verhandeln der geforderten 3.000.- Som (38.-€). Der Handschlag folgt bei 500.- Som. Trotzdem ärgere ich mich immer wieder über die Dreistigkeit, mit der die Uniformierten sich bedienen!

Zurück im Ort bekommt Steve zur verabredeten Zeit sein Handy repariert zurück. 100 US$ wechseln den Besitzer und Steve ist wieder mit der Heimat verbunden und glücklich! Wir erreichen unser Hotel gerade rechtzeitig vor dem Gewitter, das uns anschließend einen geschlossenen Regenbogen beschert.

Am Montag machen wir uns dann auf, eines der Highlights Kirgisistans zu erkunden – den Song-Köl, einen rund 100km umfangenden See auf gut 3.000m Höhe. Der Weg dorthin führt durch einsame Berglandschaften und Täler mit reißenden Flüssen, die vereinzelt auch zum Kanufahren und Raften genutzt werden. Immer wieder begegnen uns am Straßenrand alte Männer in traditioneller Kluft mit dem typischen, hohen Filzhut. Man nennt sie einfach Weissbärte.

Paradies für Wildwasserfreaks

Weisbart mit traditionellem Hut

60km vor dem See wird es dann so richtig wild. Eine recht grobe Piste führt weit in ein breites Tal hinein, von dessen Ende der Kalmak-Pass sich auf stolze 3.447 Meter hinaufschraubt.

Einstieg in die Piste zum Kalmak-Pass

Talblick von der Passstraße

Passauffahrt bei 3.000 Metern

Dahinter liegt der Song-Köl

Es ist erstaunlich, wieviele Fahrradfahrer hier anzutreffen sind. Sie kommen aus allen Ländern Europas, besonders häufig aus England. Es ist aber eine unglaubliche Schinderei, und weite Teile können nur schiebenderweise bewältigt werden, da der Untergrund zu lose oder zu grob ist.

Hinter dem Pass tut sich dann auf einmal das große Tor in eine komplett andere Welt auf! Wie schön ist das denn? Wer hat den Bauplan für diese Kulisse erstellt? Die Augen starren, das Herz hüpft – ich kann gar nicht fassen, was ich hier zu sehen und zu fühlen bekomme! Flach eingebettet in eine riesige, gelb-grün leuchtende Hochebene, und eingerahmt von Bergen der 4.000-5.000m- Klasse, liegt tief blau schimmernd der Song-Köl, der wohl zurecht als schönster Ort Kirgisistans gilt.

An den Ufern siedeln im Sommer einige Halbnomaden, um ihrem Vieh die endlosen Hochweiden am See zu gönnen. Einige von ihnen haben 2-3 zusätzliche Jurten neben die selbst genutzten gestellt und bieten diese den Touristen zur Übernachtung an. Zumindest ist dies am Nordufer der Fall, wo mangels richtiger Pisten nur wenige Touristen hinkommen.

Nomaden-Camp mit Jurten für Touristen

Einsames und unwegsames Nordufer

Nomaden am Nordufer

Über eben dieses Nordufer beginnen wir im Nordosten gegen den Uhrzeigersinn unsere Umrundung des Sees, was ca. 100km sind. Dabei sind viele – zumeist kleine – Flüsse zu queren. Wir teilen uns den Weg auf saftigen Wiesen mit Yacks, Pferden, Kühen und Schafen, die sich allesamt nicht von Motorrädern aus der Ruhe bringen lassen.

Kleine Flussdurchfahrt

Grauschimmel bei der Arbeit

Nur langsam hangeln wir uns dem Nordufer entlang gen Westen, denn die Sinne sind zu sehr betört von den schönen Farben der Kulisse in der späten Nachmittagssonne. Mittendrin im Niergendwo taucht dann das einzige feste Bauwerk am ganzen See auf – ein beeindruckendes Mausoleum für einen Kriegshelden, der Mitte des 19. Jh. tapfer gegen die Kasachen gekämpft hat. Der Hass zwischen Kirgisen und Kasachen wurzelt tief!

Mausoleum für den Kriegshelden

Nur wenige Kilometer weiter taucht nach längerer Zeit wieder ein Nomaden-Camp auf, das sogar 5 Jurten für Touristen anbietet. Drei Generationen leben hier ein sehr einfaches Leben mit Wasser aus dem Ziehbrunnen und ein bischen Solarstrom für die Beleuchtung von 2 Jurten. Die ältere Tochter Erkaim (14) ist nur in den Ferien hier. Ansonsten geht sie, wie viele Nomadenkindet, in Bishkek zur Schule. Irgendwelche Verwandte, bei denen man seine Kinder unterbringt, hat jede kirgisische Familie in der Hauptstadt. Der Schulbildung werden hier große Opfer gebracht, denn das Leben in Bishkek ist teuer.

Unsere erste Übernachtung am Song-Köl

Erkaim wünscht ein Photo auf der BMW

Wir haben Glück und bekommen noch eine freie Jurte. Strohmatratzen auf dem isolierten Boden und frisch duftendes Bettzeug sorgen für eine angenehme Schlafstatt. Das Publikum auf dieser Seeseite ist, wie wir später noch feststellen sollen, ein ganz anderes als am Südufer. Es sind kaum motorisierte und schon gar keine Pauschaltouristen hier unterwegs. Die meisten sind auf einer mehrtägigen Reittour aus anderen Tälern hierher gekommen – so auch Charlie und Jim aus Nottingham mit ihren Söhnen Sam und Jack, die seit vielen Jahren als Expads im Oman leben.

Mit Ihnen verleben wir einen wunderbaren Abend im Camp, der vor dem gemeinsamen Abendessen am Boden ein besonderes Spektakel bietet. Vier Jugendliche aus benachbarten Nomadencamps spielen im Sonnenuntergang vor unseren Augen лактарташ (Laktartash) – ein kirgisischer Traditionssport, den man als Basketball auf Pferden bezeichnen könnte; nur das die Körbe hier am Boden liegende LKW-Reifen sind und anstelle eines Balls um ein Schaffell gerungen wird.

Szene beim Laktartash

Es wird gnadenlos gekämpft

Der mit dem Fell flieht zu seinem Reifen

Ich habe wirklich selten einen so spektakulären Sport gesehen. Es ist aberwitzig, mit welcher Akrobatik und Gnadenlosigkeit hier, hoch zu Ross, um das Schaffell gekämpft wird. Das beginnt schon mit dem ersten Aufheben des Fells vom Boden. Sämtliche Spieler halten im Galopp auf das Fell zu und lassen sich kopfüber vom Sattel seitlich auf den Boden hängen, um das Fell als erster aufzulesen. Dann versuchen die anderen ihm das Fell zu entzerren. Dabei sitzt man noch im eigenen Sattel, aber der ganze Oberkörper hängt über dem Pferd eines Mitspielers. Die kleine Peitsche, mit der die Pferde gnadenlos angetrieben werden, wird in diesen Situationen, die beide Hände fordern, lässig im Mund gehalten, oder geht gerne auch mal verloren.

Erstaunlich ist für mich, dass die Pferde das scheinbar widerstandslos mitmachen. Es wird so wild aufeinander zugeritten, das häufig mal die Vordebeine eines Pferdes auf dem Rücken eines anderen zu liegen kommen. Die Reiter sitzen dabei so cool und wie festgeschweißt in Sattel, wie es nur sein kann, wenn man seit Kleinkindalter daran gewöhnt ist. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit wird das Spiel erst beendet. Für mich war’s ein faszinierendes Erlebnis.

Am Dienstagmorgen setzen wir die Seeumrundung fort. Gleich zu Beginn gilt es einen Flussfurt zu queren, die aber so moddrig aussieht, das wir dankbar der Wegweisung eines Nomaden, der gerade ein Schaf schlachtet, folgen. Dort ist der Fluss ganz schmal, doch dafür tief eingegraben. Ich hopse noch halbwegs elegant dadurch, doch Steve entschärft es, und ein weiteres Mal erweist sich das in Almaty runderneuerte Gepäcksystem als sturzresistent!

Die Strecke wird immer unwegsamer und wir müssen viele steile Bergausläufer auf extrem felsigen Untergrund überqueren. Zum Teil fahre ich beide Maschinen darüber, so bleiben uns weitere Stürze erspart. Hier oben will man nicht auf Hilfe angewiesen sein! Nach zwei Stunden erreichen wir das Westufer. Hier wird es wieder flach, doch der Boden ist vom Regen der vergangenen Tage sehr aufgeweicht, was das Finden einer geeigneten Spur erschwert. In der Nähe hören und sehen wir ein Gewitter aus den westlichen Bergen aufziehen. An dieser Stelle springt der Tacho meines Mopeds auf 100.000km – tolle Jubiläumskulisse! Somit liegen jetzt schon 24.000km auf dieser Reise hinter mir – Wow!

Kurz vor dem großen Moment

Ein paar Minuten später stoßen wir auf die Südufer-Piste, die richtig mit Schotter präpariert ist. Entlang dieser Piste finden wir einige „professionelle“ Yourtcamps und entscheiden uns gerade bei Beginn des Gewitters für eines, das auch mein GPS kennt. Hier treffen im Laufe des Nachmittags so viele Touristen ein, dass alle 20 Jurten belegt sind – zum Teil mit bis zu 5 Leuten in der Jurte!

Wie gesagt, ist das Publikum ein zur Gänze anderes als auf der gegenüber liegenden Seeseite. Hier kommt alles hin: kleine Busse mit Kurzurlaubern – vor allem Chinesen -, geführte Motorradreisegruppen eines Schweizer Reisunternehmens aus Osh (MuzToo), und auch viele motorisierte Individualreisende. So treffe ich hier auch Erik Peters aus Rösrath, der als Reisejournalist mit einem Freund auf zwei Super Téneré gen Indien unterwegs ist und meinen Freund Guido gut kennt, der für eine Mopedzeitschrift arbeitet und ihm häufiger eine Reportage abkauft. So klein ist die Welt!

Yourtcamp bei Ankunft im Gewitter

Yourtcamp nach dem Gewitter

Auch hier sehen wir am frühen Abend dem Laktartash zu, wobei viel mehr Spieler im Feld für noch mehr Dynamik sorgen. Am Ende spielen dann sogar die ganz Kleinen groß mit. Der kleinste ist erst drei Jahre alt, sitzt aber schon so fest im Sattel, als wäre er dort hinein gebohren – es ist einfach nicht zu fassen!

Hellblau verteidigt „sein“ Fell

Man achte auf den kleinen Jungen rechts

Hier im Vordergrund: 3 Jahre!

Am Mittwoch verlassen wir diese Traumwelt bei schönstem Wetter über einen atemberaubenden Pass im Südosten des Sees. Ein Hirte zu Ross warnt uns noch vor der steilen Passabfahrt, die sich als schönster Serpentinenhang darstellt, den ich jeh gesehen habe, und ich habe schon viele gesehen!

Der warnende Hirte am Pass

Schönster Serpentinen-Steilhang

Derselbe Hang von unten

Flusstal am Fuße der Serpentinen

Am Fluss eine einsame Schönheit

Hier endet der bislang schönste Abschnitt der gesamten Reise. Ich fühle mich reich beschenkt und frage mich manchmal, ob ich das alles verdient habe. Es ist schon schwierig, einem Einheimischen zu erklären, was ich hier auf meinem Moped überhaupt suche! Vielleicht das Gute Leben?

2 Gedanken zu “25 Song Köl – ein surreal schöner See auf 3.000 Metern

  1. tatjanaphysiogmxde schreibt:

    Hallo Wolfram , danke dir für den superinteresanten und wunderschönen Bericht ! Das Spiel auf den Pferden ist ja sehr faszinierend, sogar schon nur aus deinem Bericht, und wenn man es mit eigenen Augen in Life gesehen hat …. meine Herren ….natürlich hast du das alles verdient zu sehen und erleben ! Weil du dich getraut hast ! Weil du Menschen und Natur liebst ! Solche Leute bekommen so was vom Universum! Bleib gesund , verliere nicht diese Neugier und Begeisterung! Weiß ich , dass es bei dir nicht passiert…. liebe Grüße von Tatjana aus Andalusien .

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