Eines kann ich gleich zu Beginn in Kasachstan feststellen, und das ist die außergewöhnliche Freundlichkeit der Kasachischen Bevölkerung! Egal ob es die gehobenen Daumen aus den Fenstern der vorbeifahrenden Autos sind, oder die Menschen, die uns zu unserer Reise befragen, wenn wir irgendwo stehen bleiben: Immer zeigen die Menschen in diesem Land größtes Interesse, wollen ganz genau wissen, wie die Reise verläuft, wie einem das Land gefällt und ob alles in Ordnung sei, oder man Hilfe benötige. Witzig ist ihre Reaktion auf die lange Strecke, die wir schon zurück gelegt haben. Es ist eine kreisende Art des Kopfschüttelns – ähnlich wie ich es aus Indien kenne.
Nach einer sehr ruhigen und angenehm kühlen Nacht bauen wir unsere Zelte schon früh ab, denn die Sonne lässt einen weiteren Aufenthalt im Zelt nicht zu. Die Straße nach Semipalatinsk verläuft durch ein Gebiet, das offensichtlich zu Sowjetzeiten intensiv landwirtschaftlich genutzt wurde und nunmehr brach liegt. Überall zeugen Ruinen von den ehemaligen Kolchosen – es ist ein trauriger Anblick. Auffällig sind die vielen muslimischen Friedhöfe mit ihren sehr prunkvollen Gräbern. Für farbliche Abwechslung sorgen riesige Sonnenblumenfelder in der ansonsten kargen Steppe.
Schon am Vormittag erreichen wir Semipalatinsk, das durch die Atombombenversuche in der Sowjetunion traurige Berühmtheit erlangt hat. Nach dem Weltkrieg wurden südlich der Stadt bis 1989 über 40 Jahre rund 500 Atombomben gezündet – sprich eine Bombe pro Monat.
Die Folgen waren natürlich fatal! Den unzähligen Toten hat man immerhin ein sehr ergreifendes Denkmal in einem Park am Ufer des Irtys gesetzt, das in seiner Schlichtheit sehr bewegt.
Als Stadt gefällt mir Semipalatinsk nicht so gut, aber es gibt eine schöne orthodoxe Kathedrale und eine toll lichtdurchflutete Moschee.
Am Montagmorgen verlassen wir die Stadt und machen uns auf den Weg in die ehemalige kasachische Hauptstadt Almaty. Vor uns liegen knapp 1200km, vor denen uns alle entgegenkommenden Reisende gewarnt haben, weil die Straßen so schlimm seien. Entsprechend gespannt nehmen wir die Strecke unter die Räder und sind positiv überrascht. Nach 160km kommen in der Tat ein paar Passagen mit tiefen Schlaglöchern, doch insgesamt ist die Straße zwar recht uneben, aber mit dem Moped durchaus mit 60-70km/h zu befahren. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Berichte über Straßenzustände sehr subjektiv und für die verschiedenen Fahrzeugarten unterschiedlich zu bewerten sind.
Heute schaffen wir bei angenehmen Temperaturen von 25 Grad 350km und quartieren uns in Ayagöz in eine gerade eröffnete Gostiniza ein, die neben schönen Zimmern auch noch ein kleines Restaurant zu bieten hat. Die Übernachtung kostet gerade mal 6.-€ pro Nase. Hier treffen wir Dimitrii und Aleks, zwei Mopedfahrer aus Moskau, die nach russischer Art fernreisen, sprich 15.000km in 3-4 Wochen. Dementsprechend kommen sie erst eine Stunde nach Sonnenuntergang an – natürlich in Jeans und Turnschuhen – und fahren schon am frühen Morgen weiter. So sind sie, die russischen Mopedfahrer: Echt hart im Nehmen!
Auch wir beginnen diesen Dienstag früh, denn noch immer warten wir auf die wirklich schlimmen Straßen. Aber auch heute wird’s nicht allzu übel. Ein Autofahrer mag dies jedoch ganz anders bewerten.
Was mich mehr beansprucht als der Straßenzustand an diesem Tag ist das Wetter. Die Temperaturen klettern auf 35 Grad, sprich der Fahrtwind hat kaum noch eine kühlende Wirkung. In Zhansygirov haben wir dann die schon lange erwartete, erste Begegnung mit der kasachischen Polizei, die für ihre Korruption und Omnipräsenz berüchtigt ist. Ich habe mich schon gewundert, dass wir nach 850km in Kasachstan noch keine Polizeikontrolle erfahren haben, als eine Streife uns stoppt, nachdem wir zuvor beinahe verkehrt in eine Einbahnstraße eingebogen wären. Ich habe den Fehler aber rechtzeitig bemerkt und bin nicht abgebogen. Der Polizist will dennoch Geld sehen und bittet mich in den Streifenwagen. Dort will er meine Dokumente haben, die ich ihm bereitwillig zeige, aber nicht aus der Hand gebe. Das irritiert ihn, doch ich insistiere, dass ich meine Papiere niemals aus der Hand gäbe. Danach spielt sich in etwa folgender Dialog ab:
Pol: Du bezahlst 20.000 Tenge (25€)
Ich: Nein, ich habe nichts falsch gemacht!
Pol: Ok, gib mir 10.000 Tenge
Ich: Nein, ich habe nichts falsch gemacht!
Pol: Ok, gib mir 5.000 Tenge
Ich: Nein, ich habe nichts falsch gemacht! Ich will den Chef sprechen!
Pol: Du willst also nicht bezahlen?
Ich: Nein, ich habe nichts falsch gemacht!
Pol: tz, tz, tz……
Ich: tz, tz, tz……, lache
Pol: lacht auch und gibt mir die Hand.
Er wünscht noch eine gute Reise, und damit ist die Sache erledigt. Er hat’s eben mal versucht! Wichtig ist ihm aber das „In Freundschaft auseinander gehen“.
Wir fahren noch bis Taldykorgan, obwohl es schon spät wird und wir bis dahin eine Tagesetappe von über 500km zurückgelegt haben, doch es ist zuvor keine Übernachtung zu finden, und zum Zelten ist’s uns zu heiß.
Taldykorgan ist eine große Stadt. Ich suche eine Apotheke auf, da ich schon seit 2 Wochen eine latente Bronchitis mit mir rumschleppe und meine Hausärztin eine Verdoppelung der täglichen Dosis meines Asthmasprays angeordnet hat. Dafür reicht mein Vorrat nicht aus, und so bin ich total verblüfft, als ich in der Apotheke exakt mein Spray bekomme, und das auch noch ohne Verschreibung und zu einem Drittel des deutschen Preises.
Vor der Apotheke spricht uns ein Mann in gutem Deutsch an. Ob er uns helfen könne, er habe in der Schule Deutsch gelernt. Zusammen mit seiner Frau, die perfekt Englisch spricht, und den drei kleinen Kindern fahren Sie uns dann zu einem Hostel voraus, klären dort mit der Wirtin unsere Übernachtung und laden uns gleich noch zu sich nach Hause zum Essen ein – so geht Gastfreundschaft!
Wir lehnen dennoch dankend ab, denn wir sind zu sehr von der langen, anstrengenden Fahrt geschafft, um noch einen langen Abend als höfliche Gäste zu überstehen. So verabschieden wir uns, natürlich nicht ohne die Telefonnummer zu erhalten mit der Aufforderung, diese jederzeit zu wählen, wenn Not am Mann sei! Das erleben wir hier ganz oft, und man ist geneigt, dies nicht nur für eine leere Floskel zu halten.
Am Mittwoch stehen nur noch 260km bis Almaty auf dem Programm. Ein Kinderspiel, zumal nun die Straßen wirklich gut sind. In der Ferne tauchen schon die schneebedeckten Gipfel des Tien Shan Gebirges auf, zu dessen Füßen Almaty liegt. Wir passieren schöne Seen und Mittelgebirge in einer kaum besiedelten Gegend, und finden nur kurz vorm Liegenbleiben die erste Tankstelle nach 150km. Das ist mir auf der ganzen Tour noch nicht passiert!
Schon beim Reinfahren ist mir Almaty sehr sympathisch. Eine sehr moderne und lebhafte Stadt. Überall werden Straßen und vor allem großzügige Gehwege neu gebaut. Wir finden schnell das European Backpackers Hostel, was in etwa dem Oasis in Ulan-Bator entspricht. Hier treffen wir jede Menge Touristen aus Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz – viele unter ihnen als Backpacker ohne Fahrzeug unterwegs. Eine nette Atmosphäre herrscht hier!
In Almaty werden wir sicher eine Woche verweilen, denn es gibt für Steve so einiges zu tun. Er braucht Visa für 4 Länder und wir wollen sein komplettes Gepäcksystem am Moped erneuern, nachdem sich das Original Honda System als nicht Off-Road tauglich entlarvt hat. Außerdem hat Almaty selbst eine Menge in seiner Umgebung zu bieten.
Ich selbst fiebere dem großen Moment meiner Reise entgegen, in dem ich meinen zweiten Pass mit all den Visa für die verbleibende Reise von der DHL-Express-Station abhole. Zu meiner großen Freude liegt der Umschlag dort seit gerade mal 3 Stunden, als ich ihn gleich nach Ankunft in Almaty abhole – was für ein Timing! Und es sind alle Visa drin, sogar das für Turkmenistan, welches nicht selbstverständlich ist, denn Turkmenistan lehnt Visa gerne schon mal ohne Begründung ab. Ich bin rundherum glücklich, denn dies war der logistische Knackpunkt der gesamten Reise – und der hat nun funktioniert!
Über Almaty und Umgebung werde ich den nächsten Artikel schreiben. Jetzt freue ich mich über die Fahrpause!
Lieber Wolfram,
wie wunderbar du schreibst! Beim Lesen taucht man richtig ein in diese fremde Welt, fiebert mit und ist immer froh, wenn du wieder gut gelandet bist!
Sehr lustig die Szene mit der Polizei. Und auch sehr mutig, denn man weiß ja nicht wie es endet…
Wir bekommen auch ein wenig ein Gefühl für die Weite dieses Landes und deine Bilder öffnen einem einen Blick, den man wohl so sonst nie hätte!
Wir wünschen dir weiterhin eine gute Reise und schöne Eindrücke!
Diese Woche treffen wir Moni und Behrooz und meine französische Cousine mit iranischen Mann zusammen mit Ariane, so kann Ariane erste Informationen austauschen ….
Wir sind in Gesanken bei dir und wünschen dir gute Besserung für deine Bronchitis und eine wunderschöne, gute Weiterreise!
Eine dicke Umarmung aus Berlin, Beate& Christian
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Hallo Wolfram , ja die Kasachen sind sehr sehr gastfreundlich !!!! Ich bin , wie du weißt bei Kasachstan geboren … ich habe die sehr viel erlebt . Die sagen ja auch : * мой дом – твой дом * und die sagen ja auch : * ich habe ein Auto , du hast ein Auto ( beim Gespräch mit einem von den Nachbarn) , wir müssen es hinbekommen , dass der andere Nachbar auch ein Auto hat , bekommt…* Das ist ja nicht so schön , dass du mit den Bronchien zu tun hast . Die Ausatmung musst du immer gezielt als Übung verlängern ( Lippenbremse etc., beim „Kutschersitz „- dabei sind die Atemmuskeln gestützt .)ich wünsche dir gute Besserung . Dein Bericht war wieder toll , ich war , so wie im Kommentar vor mir schon erwähnt wurde , ich war wirklich bei allem dabei ! Genieße die Zeit jetzt , wo du eine kleine Pause vom Fahren hast ! Liebe Grüße Tanja
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