20 Durch das russische Altai-Gebirge

Rechtzeitig zum Beginn der Gültigkeit des russischen Transitvisums erreichen Steve und ich am Dienstagmorgen (24.7.) den Grenzposten von Taschanta. Es hieß eigentlich, dass die Straße dorthin asphaltiert sei, doch die Mongolei verabschiedet uns auf Ihre eigene Art, sprich auf einer Piste. Der mongolische Posten ist schnell passiert, auch wenn mein provisorischer Pass – ohne jegliche Voreinträge – für Verwirrung der Grenzbeamten sorgt. Ich muss also die ganze Story vom gewaschenen Pass erklären und diesen zum Beweis auch noch vorlegen. Danach geht’s aber schnell, und wir verlassen nach gut 20 Minuten die Mongolei, fahren noch 4km auf Piste durch geisterhaftes Niemandsland, um dann vor einem verschlossenen Tor nebst Aufschrift „Россия“ zu landen. Dahinter ein kleines Wachhäuschen und eine perfekt asphaltierte Straße. Ich fühle mich wie am Himmelstor ohne Einlass. Außer uns kein Schwein da! Nach wenigen Minuten erbarmt sich schließlich ein Soldat, aus dem Wachhäuschen zu kommen und uns das Tor zu öffnen. Er funkt noch unsere Kennzeichen an den Grenzposten, und dann dürfen wir 20km bis zur Grenzstation im ersten russischen Ort „Taschanta“ fahren.

Dort finden wir eine lange Autoschlange vor einer Ampel, die blockweise jeweils 6 Fahrzeuge auf das Gelände des Grenzposten vorlässt – und das nur etwa alle 45 Minuten! Mit den Mopeds mogeln wir uns bis zuvorderst an die Ampel vor und ernten dafür nicht einmal böse Blicke.

Im Gegenteil, die umherstehenden aus der Warteschlange nutzen dieses Intermezzo gerne zum Probesitzen auf Steve’s Africa Twin, die offensichtlich viel attraktiver ist als meine BMW!

So kommen wir nach nur 30 Minuten auf das Gelände zur Grenzkontrolle. Die Pässe werden schnell gestempelt und auch der Zoll durchsucht die Mopeds in akzeptabler Zeit. Doch dann beginnt der Nerv, als es darum geht, die Zolleinfuhr für die Mopeds zu erledigen. Ein einzelner Beamter tippt mit 10 Abschlägen pro Minute alle Daten des Kfz-Scheins in den Computer und fertigt dazu noch etliche Kopien an von Pass, Kfz-Schein und Führerschein. Das dauert pro Fahrzeug ungelogen eine halbe Stunde. Hinzu kommt, dass sich so manch einer über ein anderes Fenster vordrängelt und auch noch bedient wird – möchte gerne wissen, welche Scheine da in den Pässen liegen. Mein entnervtes Intervenieren wird sofort quittiert, indem mich der Beamte die zwei umfangreichen Formulare erneut ausfüllen lässt, weil ich an einer Stelle einen Eintrag korrigiert habe. Damit verliere ich meinen Platz in der Schlange. Steve ergeht es nicht besser. Er bekommt den Hass des Beamten auf Amerikaner ungefiltert zu spüren und darf ebenfalls die Formulare erneut ausfüllen. Am Ende haben wir für die Stempel auf der Zolldeklaration fast 4 Stunden an diesem Schalter zugebracht: Wir fühlen uns so richtig willkommen in Russland!

Das einzig gute an dieser langen Pause ist, dass der starke Regen, der während dieser Zeit niederging nun, da es schon 16 Uhr geworden ist, aufhört und uns im Anschluss eine phantastische Fahrt bei Sonnenschein durch das Altai-Gebirge gewährt. Eine Traumlandschaft mit tief eingeschnittenen Gebirgstälern und Berghängen, die in tollen Farben von der Nachmittagssonne hervorgehoben werden. Dazu reißende Flüsse, die durch den Regen der letzten Zeit zum Bersten gefüllt sind.

Diese idealen Bedingungen nutzend, fahren wir bis tief in den Abend hinein, denn für morgen ist schon wieder Regen angesagt, und es wäre wirklich zu traurig, diese Strecke nur durch ein verregnetes Visier wahrnehmen zu können.

Es ist schon fast 21 Uhr, als wir 310km hinter der Grenze das erste Gasthaus seit Stunden entdecken. Und dann stellt sich dieses auch noch als sehr schön und vakant heraus! Wir bekommen eine kleine, sehr gemütliche Blockhütte und ein leckeres Abendessen. Gregorii, der Wirt, fährt sogar extra für uns zu einem entfernt liegenden Geschäft, um die gewünschten Getränke zu besorgen – was für ein netter Service!

Der Mittwochmorgen hält, was die Vorhersage versprochen hat, sprich es gießt in Strömen. Ich fühle mich sehr an so manche Regentage auf meinen Alpen-Radtouren erinnert. Tiefhängende Wolken verhängen die Berge und alles versinkt im Rauschen der unzähligen Bäche. Ein idealer Tag zum Verweilen an diesem gemütlichen und gastlichen Ort!

Der ursprüngliche Plan sah vor, heute ins 315km entfernte Biysk zu fahren und dort bei „Igor the Black African“ – so benannt, weil er eine schwarze Africa Twin fährt – abzusteigen. Igor unterhält dort mit viel Passion einen sogenannten Bikepost, in dem er fernreisenden Mopedfahrern kostenlos Übernachtung und Motorradreparaturen anbietet. Steve wollte seiner Twin dort einen Ölwechsel antun. Das, so Gregorii, können wir auch bei ihm erledigen. So macht er sich auf den Weg in das 20km entfernte Onguday, um Steve eine Auswahl an 4 verschieden Sorten Motoröl zu bringen. Wir sind sprachlos angesichts der gebotenen Gastfreundschaft!

Noch bevor wir mit dem Ölwechsel beginnen, kommen plötzlich Lottie & Ryan – das nette, schottische Pärchen, das ich 5 Wochen zuvor in der Gobi und dann vor gut 3 Wochen nochmal mit Ariane im Kloster Amarbaygalant getroffen habe – vorbei. Pitschnass wollen sie nur zum Essen einkehren und anschließend wieder in die Pampa zum Zelten fahren – das sind wahre Trapper! Die Wiedersehensfreude ist beiderseits riesig. Knapp 2 Stunden quatschen wir zusammen, tauschen alles Wissenswerte über die bevorstehende Strecke aus und verabreden uns so halb in Barnaul, wo die beiden aufgrund eines geplanten Arztbesuches am nächsten Abend eintreffen und im Hostel Izba einige Tage verweilen wollen. Dann machen sich beide bei strömendem Regen tatsächlich auf, um ins Gebirge zum Zelten zu fahren!

Wir widmen uns anschließend dem Ölwechsel an der Twin und werden zum Abend wieder mit einem leckeren Essen verwöhnt – selbstverständlich wieder mit Getränken unserer Wahl, eigens aus dem Laden besorgt! So geht dieser willkommene Ruhe- und Regentag zu Ende, und das Regentrommeln hält noch die ganze Nacht durch an.

Leider ist’s damit auch am Donnerstagmorgen noch nicht vorbei. In voller Regenkluft machen wir uns nach dem Frühstück auf den Weg Richtung Biysk. Zum Glück hört der Regen schon sehr bald auf und weicht kaum eine Stunde später sogar der prallen Sonne. Noch rund 150km bleibt uns die schöne Bergwelt erhalten – wenngleich jetzt mit intensivem Tourismusgewimmel und entsprechend viel Verkehr. Vom Rafting über Mountainbiking bis hin zum Paragliding wird hier allerlei Outdoor-Sport angeboten. Die Russen scheinen dieses Tal als Urlaubsregion zu lieben – es liegt auch nur 500km von Novosibirsk entfernt.

Die zweite Hälfte der Strecke nach Biysk wird dann eher langweilig. Die Berge weichen riesigen Flächen, die meist dem Ackerbau dienen. So freuen wir uns, kurz nach Mittag bei Igor the Black African auf seinem Bikepost aufzukreuzen. Er schraubt gerade an seiner schwarzen Afro Twin, als wir ankommen. Igor – ca. 50 Jahre alt – nimmt uns begeistert in Empfang und lässt uns ein offensichtlich standardisiertes Begrüßungsritual durchlaufen. Dieses beinhaltet zunächst einen Eintrag in sein Gästebuch, gefolgt von einem Eintrag unserer Herkunft auf einer ca. 5m breiten Weltkarte. Dann werden wir im Stil eines Fotos aus der Verbrecherkartei vor einem Größenmaßstab mit einem Schild in der Hand abgelichtet. Das russisch beschriftete Schild soll den russischen Humor bedienen! Es folgt ein Foto auf einem uralten, verrosteten Motorrad und zuletzt die Verewigung unserer Namen als Holzschnitt in einer gigantischen Tischplatte. Das alles findet auf der überdachten Terrasse im Garten des Bikepost statt.

Es ist insgesamt eine bizarre Veranstaltung, wobei die Energie, mit der Igor seiner Leidenschaft nachgeht, und auch sein Idealismus, wirklich beeindruckend sind. Nach gut einer Stunde voller Geschichten um den Bikepost und einigen Tassen Tee beschließen wir, die grenzenlose Gastfreundschaft doch nicht für die Übernachtung in Anspruch zu nehmen, sondern noch die 160km nach Bernaul zu fahren, um Lottie und Ryan im Hostel Izba zu Treff.

Eine gute Entscheidung, denn zum einen soll es morgen wieder regnen, und zum anderen stellt sich das Izba als sehr nettes Hostel heraus, das von Natalie und ihrem Sohn Alexej sehr liebevoll geführt wird. Außerdem ist Bernaul eine sehr schöne Stadt, am riesigen Strom Ob gelegen.

Wir werden sehr nett im Hostel von Natalie, Lottie und Ryan empfangen und verbringen einen schönen Abend in der Küche, wo wir lecker kochen und essen. Auch der folgende Freitag, der einmal mehr fahrfrei ist, weiß zu gefallen. Zwar regnet es hier und da, aber es bleibt genug trockene Zeit zur Stadtbesichtigung und für Besorgungen. So braucht Steve zum Beispiel dringend neue Schuhe zum Mopedfahren, die wir auch in einem Outdoorladen finden. Am Abend gehen wir zu viert ganz schick französisch essen – ein netter Kontrapunkt zur sonstigen Versorgung auf dieser Tour!

Am Samstag bricht der letzte Tag meines russischen Transitvisums an. Ich muss heute – komme was wolle – aus diesem Land ausreisen. Erst um 11 Uhr sitzen wir im Sattel, weil Steve für irgendwelche Bankangelegenheiten zuhause eine notarielle Beglaubigung seiner Unterschrift braucht, und diese mit Alexej’s Hilfe am Morgen mit einem Notarbesuch erhält.

Die 335km zur kasachischen Grenze verlaufen reiz- und ereignislos. Kurz vor der Grenze werfen wir noch etwas zu essen ein, um nicht hungrig in das ungewisse Grenzabenteuer zu gehen! Es soll sich bald herausstellen, wie weise diese Entscheidung war. Um 15:30 stehen wir vor dem Schlagbaum der Russischen Grenzanlage. Dort verbringen wir erst 1 1/4 Stunden mit dem Abschluss einer Mopedversicherung für Kasachstan. Dann dauert es 45 Minuten, bis sich der Schlagbaum öffnet, und wir zur Passkontrolle vorfahren dürfen. Diese geht super schnell – nur 5 Minuten, direkt gefolgt von einer Gepäckdurchsuchung durch den russischen Zoll. Auch das ist nach 10 Minuten Geschichte, als ich ungläubig zur Kenntnis nehme, dass wir schon zur Kasachischen Seite weiterfahren dürfen. Die Freude erstarrt dann aber beim Anblick der langen Schlange, die sich dort gebildet hat. Zwar versuchen wir es wieder auf die freche Art und fahren knapp an der Hälfte der Schlange vorbei, doch dann wird das Gezeter der wartenden Autofahrer so groß, dass wir uns in die Schlange einsortieren. Wir haben auch so schon eine Menge Wartezeit erspart. Nun dauert es 2 1/2 Stunden bis wir zur Kontrolle kommen. Dann geht alles so fix, dass wir nur 5 Minuten später alle drei Stationen passiert haben und, ohne auch nur eine Tasche öffnen zu müssen, um 20:30 Uhr nach Kasachstan einreisen.

Wir bedauern die Leute, die hier auf der anderen Seite in einer langen Schlange warten und sicherlich erst in den frühen Morgenstunden durch sein werden – darunter auch 4 kanadische Mopedfahrer auf ihren KTMs. Nach 25km Fahrt wird uns klar, dass wir nicht mehr im Hellen nach Semipalatinsk kommen werden, als wir linker Hand einen wunderschönen See liegen sehen. Dahinter führt ein Weg auf die mit Kiefern bewachsenen Hügel. Dort finden wir einen 1a-Schlafplatz und bauen seit fast 4 Wochen zum ersten Mal wieder das Zelt auf. Sonnenuntergang – glutrot – oberhalb eines Sees! Das ist Idylle und Seelenbalsam pur!

Wir sind jetzt in Kasachstan!

Ein Gedanke zu “20 Durch das russische Altai-Gebirge

  1. tatjanaphysiogmxde schreibt:

    Привет Вольфрам , эти два рассказа были опять замечательны ! Особенно , когда ты про Россию пишешь . Zum Einen wie du das alles siehst , spürst , empfindest , zum Anderen ob sich dort endlichmal mal zum Besseren was geändert hat . Das mit dem Zollbeamten an der Grenze – da kann ich sehr gut mitreden , das die nicht aus dem Knick kommen und Formulare neu schreiben …. ich und mein Mann sind schon einige Male mit dem Aute die Grenzen überquert. Спасибо за прекрасные фотографии ! Будь здоров !!! С приветом Татьяна

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