Die zwei Wochen mit Ariane waren aufregend, wunderschön und natürlich viel zu kurz. Seit gestern morgen um 9 Uhr bin ich wieder ein einsamer Fernreisender!
Unsere Tour durch den NW der Mongolei findet am Donnerstag, den 4. Juli eine abenteuerliche Fortsetzung, als wir von Khatgul am Khuvsgul-See Richtung Süden aufbrechen. Bis Murun läuft alles easy auf gutem Asphalt. Wir besichtigen sogenannte Deerstones, die 3-5 tausend Jahre zuvor an Kultstätten zur Heiligenverehrung entstanden sind.
Doch dann beginnt eine 250km lange Piste, die es schon bei gutem Wetter mit ihren vielen Schotterpässen und Flussdurchquerungen in sich hat. Wir erleben aber an diesem Tag, was so ein richtiger mongolischer Regen ist. 30km hinter Murun kommt mit 2100m Höhe der erste Schotterpass und just davor überzeugt uns der schwarze Himmel, die Regenklamotten anzulegen. Zum Glück erledigen wir das rechtzeitig, denn schon mit den ersten Tropfen verwandelt sich das Ganze zu einem ungeahnten Unwetter. Ruckzuck schießen in den Kehren wilde Schlammströme über die Piste und reißen diese mit sich fort. Die Überquerung geschieht quasi blind und lässt mir das Adrenalin in die Adern schießen. Die gesamte Piste wird innerhalb von Minuten zum Sturzbach und die Fahrt zum Höllenritt!
Aber dann ist uns das Schicksal wirklich gnädig. Wir können das Glück kaum fassen, denn auf der Passhöhe taucht doch wirklich genau in dem Moment als uns die Regenfluten auch die letzte Sicht nehmen und uns zum Anhalten zwingen, eine Hütte am Pistenrand auf, die neben einem Dach auch noch ein warmes Essen anbietet. Das Thermometer sinkt auf lausige 5 Grad!
Der Oberclou aber ist, dass wir in dieser Hütte Ruben und Renan treffen, mit denen ich vor 2 Wochen für drei Tage gemeinsam unterwegs war. Es wird ein freudiges Wiedersehen. Die beiden sind in umgekehrter Richtung unterwegs und müssen heute „nur“ noch nach Murun. Zwei Stunden verbringen wir gemeinsam auf der Hütte und bewundern die Familien, die unterdessen pitschnass zu dritt mit Vater, Mutter, Kind auf ihren Mopeds ankommen, ihre Mäntel auswringen und anschließend tapfer weiterfahren. Zum Teil müssen sie noch 120km weiter bis Jargalant fahren!
Nach 2 Stunden ist das Unwetter vorbei, und es kommt sogar ab und zu die Sonne zum Vorschein. Wir verabschieden uns mit vollen Mägen von Ruben und Renan, dann machen wir uns wieder auf die Piste nach Süden. Das Ziel für heute ist ein Ger-Camp an einem See vor Shine Ider – noch 66km und es ist schon fast 18 Uhr.
Die weitere Piste ist durch den Regen arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Zunächst ziehen sich Tiefe Wassergräben durch den Schotter, doch dann wird’s richtig schmierig. Wie auf rohen Eiern fahren wir auf geneigten Lehmpisten, und mich erfasst die nackte Angst! Die Verantwortung für meine Sozia lastet schwer auf meinen Schultern, so dass ich kaum dazu komme, die schöne Szenerie zu genießen.
Kurz vor acht behauptet das Navi, wir seien nur noch 5km vom Etappenziel entfernt und schickt uns abseits von der Piste auf eine grüne Talebene zum vermeintlichen Ger-Camp. Schon nach wenigen Minuten wird klar, dass diese Talebene nicht zu befahren ist. Zu viel Schlamm und Morast! In Zeitlupentempo bringe Ich die Maschine zu Fall, als wir ein Matschloch durchqueren. Dabei verdrehe ich mein rechts Knie derart, dass ich förmlich spüren und unter dem Hosenstoff sehen kann, wie der Schienbeinknochen aus dem Knie heraus- und gleich wieder hineinspringt – Aua, das tut weh!
Im ersten Moment ist nicht einmal klar, ob ich überhaupt noch weiterfahren kann, doch es geht irgendwie unter Schmerzen. Auch Ariane hat sich das Knie verdreht, doch sie steckt das besser weg. Wir steuern ein nahe gelegenes Nomaden-Ger an, um nach dem Weg zum Ger-Camp zu fragen. Dort begegnet man uns aber mit soviel Scheu, Skepsis, ja regelrecht mit Abwehr, dass wir zur Einsicht kommen, das Ger-Camp nicht erreichen zu können.
Mit Müh und Not gelangen wir zurück auf die Piste, die zum Glück – mehr felsig als matschig – in einer guten halben Stunde und über 17km nach Shine Ider führt. Dort findet sich gerade zum Sonnenuntergang und unter einem schönen Regenbogen nach etwas Suche ein „Hotel“, das zwar den Namen nicht verdient, uns aber eine trockene Nacht im Bett bietet. Für 7.-€ im Doppelzimmer kann man selbstverständlich weder eine Dusche noch ein WC erwarten, aber das Glück, diesen harten Tag doch noch einigermaßen komfortabel beenden zu können, scheint unermesslich!
Der Freitag Morgen weckt uns mit schönem Wetter, und weil Shine Ider nicht zum Verweilen einlädt sind wir schon früh auf der Piste. Die heutige Etappe soll uns über 145km Piste an den White Lake bis kurz vor Tariat bringen. Mein Knie ist ordentlich angeschwollen und ein großer Bluterguss macht sich oberhalb breit. Entsprechend besorgt fahre ich unsere schwere Fuhre über weitere Pässe und Hochtäler, die nicht eben leichter zu befahren sind und deutliche Spuren vom gestrigen Unwetter zeigen.
An einer Furt verlässt mich dann der Mut, denn die Strömung und Wassertiefe erscheinen „simply too much“. Ein paar Meter flussaufwärts führt eine Fußgängerbrücke aus Baumstämmen über das Wasser. Ein Versuch ist’s wert, doch leider versagt das rechte Knie, als ich beim Auffahren auf die Brücke Halt finden muss, und ich falle abermals auf das kaputte Knie – Aua!
So gestaltet sich dieser Tag ähnlich schwierig wie der gestrige. Aber es hilft nichts, wir müssen aus dieser unwirtlichen Gegend heraus. Ariane ist mir mit ihrer Besonnenheit eine wichtige, moralische Stütze. Ich habe großen Respekt vor ihrer Coolness, die mir ehrlich gesagt vergangen und nackter Angst gewichen ist. Wir erleben an diesem Tag noch viele Flussquerungen, die aber alle besser gelingen – zum Teil mit Hilfe von Nomaden.
Auch zahlreiche Pässe bis 2.400m Höhe fordern Mensch und Maschine gleichermaßen. Dem Moped muss ich sowieso mal höchstes Lob aussprechen, denn was dieses alles klaglos aushält, spottet jeder Beschreibung. Der Motorschutz ist im Dauereinsatz, denn die Bodenfreiheit ist im Soziusbetrieb schlichtweg unzureichend. Aber – wie gesagt – die Maschine steckt das alles weg und kraxelt die felsigen Pässe quasi ziegengleich hinauf, ohne irgendwelche Schwächen zu zeigen.
Kurz vor Erreichen des White Lake erwischt uns nochmal der Regen, aber er bleibt moderat und kann die Freude über das Ankommen im Ger-Camp auf einer Halbinsel des Sees nicht im geringsten schmälern. Es ist angesichts der für morgen nur noch verbleibenden 15km Piste bis zum Asphalt ein wahres Gefühl des „Durchgekommensein“!
Wir genießen das schöne Camp und ein ebensolches Abendessen. Wie klein diese Welt ist zeigt sich, als wir beim Abendessen die ehemalige Personalchefin vom Bombardier-Werk in Hennigsdorf – Heidi Kafka – treffen! Mein Knie profitiert von den allabendlichen Akupunktur-Sessions, die Ariane mir verabreicht.
Noch nie zuvor habe ich mich so über das Erreichen einer Asphaltstraße gefreut wie am kommenden Morgen in Tariat! Eine tonnenschwere Last fällt von meinen Schultern und ich verspüre große Dankbarkeit für all das Glück das wir während der vergangenen Tage hatten. Das Potential für ernsthafte Probleme oder Unfälle war mehr als gegeben, und Ariane schlussendlich heil hierher gebracht zu haben empfinde ich als großes Glück, das weiter herauszufordern uns beiden jetzt nicht mehr angebracht erscheint.
So bewegen wir uns die nächsten Stunden auf gutem Asphalt nach Tsetserleg und biegen dort südwärts auf eine mit 25km kurze Piste zu den Heissen Quellen von Tsenkher. Früh dort in einem schönen Camp angekommen, genießen wir die Nachmittagsonne am 40 Grad warmen Naturpool und erholen uns von den Strapazen der letzten Tage – einfach nur schön!
Am Abend werden wir mit leckerem Essen und Getränken verwöhnt und schlafen dann im ofenbefeuertem Ger den Schlaf der Gerechten.
Die Reise geht am Sonntag weiter nach Kakorum, der ehemaligen mongolischen Hauptstadt im 13. Jahrhundert unter Dschingiskhan. Eigentlich wollen wir von den heißen Quellen südwärts eine Piste in das Orkhontal – das es auf die UNESCO Weltnaturerbe-Liste geschafft hat – nehmen, doch grassiert derzeit in diesem Teil der Mongolei die Maul- und Klauenseuche, und so müssen wir die gleiche Piste zurück nach Tsertseleg und von dort die Straße nach Kakorum nehmen.
In dieser Stadt spüren wir förmlich die Geschichte. Das Kloster Erdene Zuu lockt viele Touristen mit seinen gut erhaltenen Tempeln und Mauern.
Auf einem benachbarten Hügel, den wir hoch fahren, um von dort einen Blick über die Klosteranlage zu erhaschen, finden wir zufällig eine der vier Stein-Schildkröten, die vor 750 Jahren die Stadttore von Kakorum bewacht haben. Auch eine Schamanen-Kultstätte ist dort zu finden, an der Menschen die Schädel ihrer verstorbenen Pferde ablegen, wenn diese sich als besonders gute Pferde erwiesen haben, damit ihnen posthum die nötige Ehre erwiesen wird.
Wir hätten gut noch eine Nacht bleiben können, doch der Wetterbericht sieht für den morgigen Dienstag furchterregend aus, und so beschließen wir, noch am heutigen Nachmittag die 365km nach Ulan-Bator zurück zu legen. Unterwegs haben wir einen starken Gegenverkehr, denn ganz Ulan-Bator scheint zum Nadaam-Fest auf’s Land hinaus zu fahren. Dies ist der bedeutendste Feiertag in der Mongolei, zu dem mit Sportveranstaltungen – vor allem Reitwettbewerbe, aber auch Ringkampf und Bogenschießen – der Unabhängigkeit vor knapp 100 Jahren gedacht wird.
Überall links und rechts der Straße beobachten wir die Vorbereitungen für das Fest. Gers werden aufgebaut, Reitbahnen abgesteckt und Barbeques befeuert. Leider führt es auch zu schrecklichen Autounfällen, wie wir unterwegs sehen müssen. Aber es gibt auch schönes am Straßenrand zu beobachten!
Nach 6 Stunden Fahrt erreichen wir müde und verstaubt die Stadtgrenze von Ulan-Bator und freuen uns auf die quasi „Heimkehr“ ins Oasis Camp, doch da haben wir nicht mit dem Verkehrschaos in der Hauptstadt gerechnet. Fast vollständig fahre ich die 15km bis zum Camp im Gegenverkehr, denn auf der eigenen Spur geht rein gar nichts mehr. Um halb neun erreichen wir das Oasis im letzten Tageslicht und beenden unsere gemeinsame Rundreise durch die Mongolei.
Wir sind glücklich, das ganze heil überstanden zu haben, aber am Ende auch froh, dass wir all das erleben durften. Es war die schiere Unwissenheit über das was uns unterwegs erwartet, die uns dieses Abenteuer hat eingehen lassen. Hätten wir gewusst, wie gefährlich die Strecke war, so hätten wir diese nicht gewählt. Dann wären wir aber auch unzufrieden gewesen, so vieles nicht sehen zu können und hin wie her die gleiche Strecke zu fahren.
Unter dem Strich war es für Ariane und mich eine unglaublich spannende und schöne Reise, auf der wir viel Glück hatten.
Vor uns liegen zu diesem Zeitpunkt 3 gemeinsame Tage in Ulan-Bator, in denen wir ganz viel vom Nadaam-Festival mitbekommen sollen, doch davon handelt der nächste Beitrag!
Hallo Wolfram,
Deine/ Eure Tour ist ja an Spannung und Abenteuer kaum noch zu topen!
Was für ein Glück, dass Du den “Medizinmann“ als Sozius auf dieser Tour dabei hattest. Allergrößten Respekt für Ariane. Unfassbar was Sie da mit Dir erlebt. Wußte garnicht, dass sie so auf Abenteuer steht?!
Schön zu hören, dass ihr die Hürden weitestgehend unbescholten überstanden habt. Hoffentlich hält das Knie! Ich weiß wovon ich rede, leider.
Wir fahren heute auch in den Urlaub und hoffen auf eine tolle Zeit. Das wünschen wir Dir von ganzem Herzen für die verbleibende Zeit mit Ariane und dann für die weiteren Abenteuer im fernen Osten. Pass auf Dich / Euch auf! Alles Liebe, Micha und Familie
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Hallo Wolfram, Respekt! Da ist unsere Reise durch die Ukraine, Transnistien und Moldavien per Bahn wohl nur ein kleines Abenteuer… Grüsse aus Odessa und alles Gute für das Knie…
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Hello Ariane and Wolfram It is a real pleasure to be able to read the incredible chronicles of the trip that you have traveled together, what a great experience of life to be able to know from a motorcycle those distant and legendary lands. I admire the effort and patience that must be had to face with good judgment all the difficulties of that trip. Definitely Wolfram on your return you should write a book of „chronicles of a great trip“
Un cariñoso abrazo a los dos!!!!!!
Fernando
Fernando Agredo
Calle 11 #100-121 Edificio Campestre Towers – oficina 610 Tel. 312-9550, 3312-3795 Cali
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….bewundernswert, wenn ein Mensch sooo ein Urvertrauen zu der Ungehbung : Natur , Tiere , Menschen hat , sich traut an ,- und über seine Belastungs ,- Schmerzgrenze zu gehen , voraus weiß , dass er in der Paniksituation wieder sein physiologisches Denken aktiv kriegt! Nur so geht es sich selber kennenlernen , endlichmal das Lymbische System ( „Gehirn „ ) neu programmieren, endlichmal weniger Impulse an den Trigeminus – der den ganzen Körper auf Spannung bringt …. brauch keiner ! Liebe Ariane und Wolfram , das ist doch genau das warum ihr beide für mich so interessant und sympathisch seid ! Ich musste schmunzeln , sorry Wolfram , dass ist ja sehr schön und angenehm immer wieder mitzuerleben , dass der Urinstinkt in einem Mann immer noch soooo fest in ihm drin steckt sein * Weib * zu beschützen ! Vorausgesetzt , dass er seine Frau liebt ! Oft brauchen wir Frauen es nur um es das Tausende mal nochmal zu erfahren wie stark der Mann dich liebt ! Das ist doch genau die Qualität der Liebe , die 30, 40, 50 , ….. Jahre zwei Menschen zusammen hält ….Gute Besserung , aber ich bin überzeugt eure Selbstheilungskräfte habt ihr schon längst aktiviert! Liebe Grüße von Tatjana .
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